leserinnenbriefe
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■ betr.: „Neuerdings wird sogar geküsst“, Interview mit der Sozialarbeiterin Wiltrud Schenk, taz vom 29. 6. 09

Traumjob Prostitution

na mal wieder ein fluffiges interview über den traumjob prostitution. keine kritik, keine schattenseiten, außer der leisen feststellung, das die frauen nach langer zeit nur noch leute aus dem „milleu“ kennen. menschenhandel, zwangsprostitution, vergewaltigung, drogensucht, sklaverei – egal, die liberale sozialromantische vorstellung der freien sexualität muss aufrechterhalten werden. dass nur ja kein mann auf die idee kommt, wir frauen wären irgendwie verklemmt. sexuelle ausbeutung ist doch nur einbildung. ach, und der freundliche tipp, doch nur alkoholfreien sekt zu trinken. damit kann ja das schlimmste vermieden werden.

ich find’s so zynisch. da werden millionen frauen weltweit aufs schwerste ausgebeutet, und alles, was dem aufgeklärten linken dazu einfällt, ist mehr „offenheit mit der eigenen sexualität“. GABI GRÜNBERG, Berlin

■ betr.: „Protest gegen Flüchtlingsknast“, „Abschiebung im Abseits“, taz vom 15. 6. 09

Martialisches Auftreten

In den Artikeln zur Kundgebung vor dem Abschiebeknast in Köpenick wurde deutlich, wie schwierig es derzeit ist, in der Öffentlichkeit Interesse für die Themen Abschiebung, Haft und Umgang mit Flüchtlingen zu wecken.

Abschiebungen und Abschiebehaft sind Verwaltungsmaßnahmen, die Haftanstalt in Berlin wird nicht von der Justiz, sondern von der Polizei betrieben. Auch am Tag der Kundgebung haben Innensenat und Polizeiführung Fragen zum eigenen Demokratieverständnis aufgeworfen. Sowohl die Polizisten im Knast als auch die Polizeikräfte, die den Demonstrationszug begleiteten, agierten auf eine Weise, dass zu befürchten steht, dass das bizarre Verhalten der Polizei in Berlin, das sie seit dem 1. Mai an den Tag legt, zur Normalität zu werden droht: Vor Beginn der Kundgebung wurden Transparente und mitgeführte Plakate von der Polizei, die ja einer der Adressaten des Protestes ist, auf ihre Inhalte geprüft und zensiert. Der Demonstrationszug wurde vom ersten bis zum letzten Schritt von Hundertschaften begleitet, gefilmt und überwacht, sodass für Außenstehende das Bild einer illegalen und gefährlichen Aktion entstehen muss. Die Inhaftierten im Knast wurden aus ihren zur Straße liegenden Zellen geholt und während der Kundgebung in den nach hinten liegenden Zellen eingesperrt, damit sie von den Solidaritätsbekundungen nichts mitbekommen können.

Der Protest richtete sich gegen Innensenat und Polizei, mit der Solidaritätskundgebung sollten die Inhaftierten im Knast erreicht, mit der Demonstration die Öffentlichkeit informiert werden. Wenn alle diese Ziele von den kritisierten Kräften selbst durch martialisches Auftreten auf der Straße und Wegschließen innerhalb des Knasts torpediert werden können, erinnert das doch mehr an weniger gefestigte Staaten als an ein von SPD und Linken regiertes Berlin. Die Themen Knast für Papierlose, Fesselungen bei Arztbesuchen und Botschaftsvorführungen und Missbrauch als Beugehaft sind damit aber noch lange nicht vom Tisch.

MARTIN SCHRÖTER, Initiative gegen Abschiebehaft

■ betr.: „Polizei schützt Wiese vor Clowns“, taz vom 22. 6. 09

An Überkommenem festgekrallt

Gegen den Willen beträchtlicher Anteile der örtlichen Bevölkerung setzten „Staatsvertreter“ scheuklappenartig wahrnehmend ihre Ideen bzw. ihren Ideenmangel über polizei- und verwaltungstechnische Maßnahmen durch. Ein öffentliches Besitztum (Staat/Bund) wird vor der Öffentlichkeit „beschützt“. Steuerfinanziert, d. h. über ebendiese Bevölkerung. Parallelen? Autobahnabschnitt, der vor alternativ-demonstrativer Demonutzung bewahrt werden sollte, Heiligendamm sowieso, ebenso druckvoller Polizeieinsatz auf März- und Maidemo, aber auch öffentliche Wege (Griebnitzsee/Landesgesetz), die privat abgesperrt, erst richterlich „befreit“ werden müssen von anwohnenden Villenbesitzern, die wohl auf „Ausgleichszahlungen“ hoffen. Die Wirtschaftskriege sowieso. Erst mal scheint ein trotziges Eigeninteresse wichtiger zu sein als die Ideen des Umfeldes, auch gegen Recht, Pflicht und gesunden Menschenverstand. Sich an Überkommenem festzukrallen, wie an bestimmten Banken, Autofirmen, Kauf- und Versandhäusern, ist krank. Und mich derart deutlich unverschämt als Steuerzahler verantwortlich zu machen ist eine Sauerei. Ich rufe, frei nach Borchert („Draußen vor der Tür“): „Herr ‚Volksvertreter‘, wenn Sie die Verantwortung bitte wieder zurücknehmen, damit ich endlich wieder pennen kann!“ Nein? Dann nehme ich meine Verantwortung, und du gehst.

HENDRIK FLÖTING, Berlin

■ betr.: „Radweg in den toten Winkel. Ein Laster überfährt eine 38-Jährige“, taz vom 25. 6. 09

Warum musste sie sterben?

Ich habe am Mittwoch früh das weiße Laken gesehen. Der Anblick lässt mich nicht mehr los. Mittwochabend habe ich eine Blume dorthin gelegt, gerade eben (Donnerstag um Mitternacht) war ich wieder an der Unfallstelle. Die Bilder lassen mich nicht in Ruhe. Ich kenne die Frau nicht, aber sie hat mein Alter. Warum musste sie sterben? Ist es unvermeidbar? Mein Auto, das ich vor zwei Jahren verkauft habe, vermisse ich nicht. Aber es war sicherer als das Rad, mit dem ich jetzt fahre. Muss das sein? Bitte, bitte, liebe Entscheidungsträger, verlegt alle Radspuren auf die Fahrbahn.

MARKUS WENDLER, Berlin