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: „Zigeuner“ – bei genauem Hinsehen mehr kriminalisiert als kriminell

Das mediale Bild von Alltagskriminalität, das die Polizeiberichte vermitteln, wird in Köln quasi monokulturell von Roma bestimmt. Die Täter scheinen Kinder und Jugendliche zu sein, die eigens geschaffene Bezeichnung „Klau-Kids“ schreibt das fest. Liegt ihre Überrepräsentation in der gesteuerten öffentlichen Debatte womöglich auch daran, dass die so genannten „unerlaubt eingereisten Flüchtlinge“ der Stadt auf der Tasche liegen und man sie leichter los wird, wenn man sie kriminalisiert?

Das ist zugegebenermaßen spekulativ. Aber: Jetzt liegt eine Studie unter dem Titel „Diebstahl im Blick – Zur Kriminalisierung der Zigeuner“, herausgegeben von Udo-Engbring-Romang und Wilhelm Solms im Auftrag der Gesellschaft für Antiziganismusforschung, vor. Die acht Beiträge gehen auf eine Tagung an der Universität Marburg zurück, die sich mit antiziganistischen „Zigeunerbildern“ befasste.

Für alle, die sich Gedanken über die Geschichte der „Zigeuner“ in Deutschland gemacht haben, wird es nicht überraschend sein, dass deren Geschichte eine der Kriminalisierung, Verfolgung und Ermordung ist. Schon der Titel des Buches verweist auf das verbreitete Vorurteil, „Zigeunern“ könne man den Diebstahl schon an den Augen ansehen.

Dabei handelt es sich durchaus um eine repräsentative Aussage, wie im Beitrag „Zur Literarischen Tradition des Kinderraubs“ von Wilhelm Solms bilanziert wird. „Der schwerwiegende Verdacht, ‚Zigeuner‘ würden kleine Kinder stehlen, verdankt sich demnach dem Nachahmungs- und Variationstrieb von Dichtern. Und dies sind in erster Linie nicht die Verfasser von Jugendliteratur oder Unterhaltungsliteratur, sondern Autoren, die im deutschen Musentempel in der ersten Reihe sitzen.“

Aber in dieser besonderen Verantwortung der deutschen Dichterfürsten für die Weiterverbreitung der Mär von den Kinder stehlenden „Zigeunern“ zeigt sich nur die gesellschaftliche Tendenz und die oft genug darin zum Ausdruck kommende Verkehrung der tatsächlichen Entwicklung: „Die Tatsachen zeigen sich (...) anders: Der Staat selbst plante und organisierte den Kinderdiebstahl an den Zigeunern, alle hatten das Recht, den so genannten Vagabunden ihre Kinder zu nehmen, sie zwangsweise zu adoptieren.“

Interessant für Kölner sind die regional- und lokalgeschichtlichen Studien, die beweisen, dass es in der Jahrhunderte alten Geschichte der „Zigeuner“ in Deutschland auch Ansätze zu einer Integration beziehungsweise der Assimilierung gab. „Zigeuner“ waren in deutschen Landen auch Soldaten, Teil städtischer Ordnungskräfte und Gefängniswärter.

Dennoch haben die Lügengeschichten über kriminelle „Zigeuner“ kollektive Gefühlslagen produziert, die einer mörderischen Vernichtungspraxis den Boden bereiteten. Das schier Unglaubliche ist aber, dass das nach 1945 nicht aufhörte. So hieß es in einer Baden-Württembergischen Polizeizeitung 1949: „Der echte Zigeuner (...) neigt zum Betteln, Diebstahl und Betrug (...).“ Und in einem höchstrichterlichen Urteil in einem Wiedergutmachungsverfahren: „Die Zigeuner neigen zur Kriminalität (...). Es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe zur Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist.“

Angesichts der aktuellen Bemühungen in Köln, Roma-Kinder einzuschulen, sei abschließend darauf verwiesen, dass das Scheitern der zitierten pädagogischen Bemühungen Anfang des 19. Jahrhunderts auch dadurch bedingt war, dass die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen unangetastet blieben, und damit die erbärmlichen Wohn- und Lebensverhältnisse. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Deshalb ist die historische Auseinandersetzung mit der Kriminalisierung der „Zigeuner“ hochaktuell.

KLAUS JÜNSCHKE

Udo Engbring-Romang, Wilhelm Solms (Hrsg.): „Diebstahl im Blick? Zur Kriminalisierung der Zigeuner. Seeheim 2005, 200 Seiten, 14,50 Euro