Militärtechnik gegen falsches Abseits

In Schweden glaubt man, die perfekte Alternative zum von der Fifa favorisierten „Chip im Ball“ gefunden zu haben

STOCKHOLM taz ■ Am letzten Wochenende entschied sich der Weltfußballverband Fifa, erstmals auch technische Hilfsmittel bei der Entscheidung bestimmter Spielsituationen in Erwägung zu ziehen. Bei der U-17-WM im September in Peru soll der Chip im Ball getestet werden.

In Schweden ist man allerdings der Meinung, dort die weitaus geeignetere Technik für die Entscheidung strittiger Szenen gefunden zu haben. Das System hat den Vorteil, dass es nicht nur – wie der Chip – Aufschluss darüber gibt, ob ein Ball die Torlinie überschritten hat, sondern auch den weit häufigeren Streitfall einer Abseitsposition klären kann. Diese könnten einen Verein Millionenbeträge kosten, argumentiert Robert Hernadi, Chef des schwedischen Unternehmens Tracab. Da seien doch technische Investitionen von rund 80.000 Euro pro Stadion Peanuts. So viel etwa soll das System kosten, das aus rund um das Spielfeld verteilten Kameras besteht. Und einer Software, die aus der Militärtechnik kommt. Eine Weiterentwicklung von Teilen des Navigationssystems des schwedischen Militärflugzeugs JAS.

Zusammen mit einer TV-Produktionsgesellschaft und dem JAS-Produzenten Saab Dynamics wurden Hard- und Software aus der Flugzeugtechnik so abgewandelt, dass der Rechner am Spielfeldrand statt Landschaftsdetails beim Zielanflug von Raketen zentimetergenau die Bewegung aller Spieler und des Balles auf dem grünen Rasen verarbeitet. Meldet das System eine Abseitsposition bei Ballabgabe, geht das Signal in der gleichen Sekunde an das Armband von Schieds- und/oder Linienrichter.

Bei Tracab rechnet man optimistisch damit, dass schon im Sommer die ersten Anlagen an schwedische Vereine verkauft werden können. Der Fußballverband habe Interesse gezeigt, so Hernadi, und man hoffe auf ein Startsignal in den nächsten Wochen. Da auch die Uefa grundsätzlich positiv eingestellt sei, scheine auch ein internationaler Einsatz nicht unrealistisch. „In den nächsten Monaten wollen wir einen scharfen Test bei einem Ligamatch machen“, berichtete Tracab-Projektleiter Johan Apel in der Stockholmer Tageszeitung Aftonbladet.

Das abgewandelte Navigationssystem könnte aber nicht nur eine Hilfe für den Schiedsrichter sein. Es liefere Analysematerial, das für TV-Sender wie Trainer äußerst interessant sei. Ganz exakt könne das System Daten über die Aktivitäten jedes einzelnen Spielers liefern. Wie viel er gelaufen sei, wie schnell er sich bewegt habe. Und in einer weiteren Entwicklungsphase soll es möglich sein, ein gesamtes Spiel virtuell mit den Augen eines Akteurs zu verfolgen. Apel: „Beispielweise mit denen Beckhams oder des Schiedsrichters.“ Außerdem hätte das System den Vorteil, dass nicht ein Sportartikelhersteller das Monopol auf die Umsetzung hat, so wie beim Ball-Chip die Firma Adidas.

REINHARD WOLFF