Rücktrittsgerüchte um Hongkongs Stadtchef

Regierung in Peking dringt offenbar auf eine rasche Ablösung von Verwaltungschef Tung Chee-hwa

PEKING taz ■ Als eine halbe Million Hongkonger Demonstranten vor eineinhalb Jahren lautstark seinen Rücktritt forderten, stand er wie ein Fels in der Brandung. Doch seit Chinas Staatspräsident Hu Jintao ihm kurz vor Weihnachten ins Ohr flüsterte, er müsse seine „Unzulänglichkeiten identifizieren“, schwankt er wie ein Schiff ohne Steuermann. Daher sind die Tage des ehemaligen Schifffahrtsmagnaten Tung Chee-hwa an der Spitze von Hongkong nun offenbar gezählt. Gestern kündigten die Hongkonger Zeitungen seinen Rücktritt für den 12. März an – dem Tag, an dem er in Peking das Amt des Vizepräsidenten der machtlosen Konsultativkonferenz antreten wird. Sein Plan, dieses Politpensionären vorbehaltene Amt zu übernehmen, löste vor Tagen Rücktrittsspekulationen aus.

Der Rücktritt des Hongkonger Verwaltungschefs würde überraschen. Es ist nicht Art der chinesischen KP, von der er vor acht Jahren in sein Amt befördert wurde, öffentlichen Pressionen nachzugeben. Gerade nach der Massendemonstration vom Juli 2003, die in immer stärkere Forderungen nach freien Wahlen mündete, hatte man eine Trotzreaktion Pekings erwartet. Sie kam zwar insofern zustande, als die KP im vergangenen Jahr eine demokratische Wahl des Stadtchefs nach Ende der laufenden Amtszeit im Jahr 2007 grundsätzlich ausschloss. Doch hätte man Peking bislang nicht zugetraut, Tung so schnell zu opfern. Sein Rücktritt zum jetzigen Zeitpunkt käme einem offenen Eingeständnis des Scheiterns der mit seinem Namen verbundenen Pekinger Hongkong-Politik seit 1997 gleich.

Tatsächlich geht es wirtschaftlich gerade wieder bergauf: Das Wachstum lag zuletzt über 7 Prozent, nachdem sich die Stadt über Jahre hinweg nicht dauerhaft von dem doppelten Tiefschlag der Asien-Krise 1997/98 und des Börsencrashs der New Economy erholen konnte. Im makroökonomischen Feintuning wurden Tung immer wieder schwere Fehler vorgeworfen – gerade die aber dürften derzeit keine Rolle spielen.

Bleibt die ungelöste Nachfolgefrage. Gut möglich, dass Peking sie nun schnell klären will, um weiteren öffentlichen Debatten um ein demokratischeres Wahlsystem aus dem Weg zu gehen. Tritt Tung zurück, würde ihm sein derzeitiger „Chefsekretär“ Donald Tsang im Amt vertreten, bis innerhalb von sechs Monaten ein Nachfolger ernannt wird. So wie die Dinge derzeit stehen, würde dann Tsang auf Tsang folgen. Hongkongs derzeitige Nummer zwei ist noch ganz ein Kind des alten britischen Kolonialsystem, hat sich aber in den letzten Jahren auch aus Pekinger Sicht bewährt. Damit ist Tsang ein idealer Kandidat: Geschult in den öffentlichen Debatten des Westens, vertraut mit der Hongkonger Verwaltungstradition und zugleich loyal gegenüber den Machthabern. Das allgemeine Risiko aber bleibt: Ein diktatorisch bestimmter Stadtchef steht in Hongkong einer sich demokratisch verständigenden Öffentlichkeit gegenüber.

GEORG BLUME