5,2 Millionen Arbeitslose – schön wär’s

Die Zahl der Arbeitslosen könnte noch weit höher sein als bislang errechnet. Denn viele Jobsuchende sind gar nicht registriert. Allein in Nordrhein-Westfalen dürften sich in der nächsten Zeit noch bis zu 110.000 Menschen nachmelden

BERLIN taz ■ 5,2 Millionen Arbeitslose – diese Zahl wirkte am Dienstag noch erschütternd, jetzt könnte sie bereits überholt sein. Hochrechnungen gehen inzwischen davon aus, dass bis zu 530.000 Arbeitslose in der offiziellen Statistik fehlen könnten.

Ausgangspunkt sind Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit in Nordrhein-Westfalen. Dort wollte die Regionaldirektion genauer wissen, wie verlässlich die veröffentlichten Zahlen für Februar sind. Ergebnis: Allein in Nordrhein-Westfalen könnten bis zu 110.000 Arbeitslose in der Statistik fehlen. „Das ist aber eine Maximalzahl“, konkretisiert ein Sprecher, „es könnten auch weniger sein.“

Die Rechnung für das Bundesland: Erstens könnten noch 55.000 erwerbsfähige einstige Sozialhilfe-Empfänger hinzukommen, die in einer der zehn „optierenden Kommunen“ leben, die ihre Langzeitarbeitslosen allein betreuen. Bisher ist es diesen Gemeinden technisch nicht gelungen, ihre Datensätze an die Regionaldirektion weiterzureichen.

Das gilt – zweitens – auch für die Daten der ehemaligen Arbeitslosenhilfe-Empfänger, die die optierenden Kommunen nun betreuen. Zwar weiß die Bundesagentur, wie viele Bezieher sie den Gemeinden übergeben hat, doch über deren Familienangehörige hat die Agentur keine Informationen. Der Anhang interessierte nicht bei der Arbeitslosenhilfe. Doch neuerdings müssen sich alle erwerbsfähigen Mitglieder einer „Bedarfsgemeinschaft“ melden. In Nordrhein-Westfalen rechnet man daher mit weiteren 25.000 Menschen, die noch als arbeitslos zu registrieren sind.

Und schließlich – drittens – läuft in allen Kommunen noch immer die Klassifizierung. Denn nicht jeder erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger gilt bisher als arbeitslos. Gerade bei Müttern von Kleinkindern erwartet man in Nordrhein-Westfalen noch etwa 30.000 Neuzugänge.

Die Regionaldirektion hat nicht ermittelt, was ihre Dunkelziffer von maximal 110.000 nicht registrierten Arbeitslosen für Gesamtdeutschland bedeuten könnte. „Diese Hochrechnungen stammen nicht von uns“, stellte ein Sprecher klar. Allerdings wolle man nicht ausschließen, dass Medienberichte zutreffen, wonach in ganz Deutschland noch 530.000 Arbeitslose nachzumelden sind.

Wie schwierig es momentan ist, die wahre Zahl der Arbeitslosen abzuschätzen, macht auch eine andere Statistik deutlich. Der Bremer Arbeitsmarktforscher Paul Schröder hat sich die Mühe gemacht, die Zahl der „Arbeitssuchenden“ und der „Arbeitslosen“ in den einzelnen Bundesländern zu vergleichen. Dabei muss man wissen: Wer als „arbeitssuchend“ gemeldet ist, gilt nicht automatisch als „arbeitslos“, denn viele wollen zwar einen Job, stehen aber nicht sofort zur Verfügung.

Im Ländervergleich zeigen sich nun erstaunlichste Unterschiede. Absoluter Spitzenreiter ist Hamburg: Seit der Hartz-IV-Einführung ist dort die Zahl der nicht arbeitslosen Arbeitssuchenden um 90 Prozent gestiegen. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen stieg jedoch nur um 10 Prozent. Ausgerechnet im wirtschaftsstarken Bayern hingegen stieg die Arbeitslosigkeit zeitgleich um 21 Prozent – dafür nahm die Zahl der nicht arbeitslosen Arbeitssuchenden um 24 Prozent ab. „Die extremen Schwankungen zeigen, wie groß der Gestaltungsspielraum bei der Statistik ist“, sagt Arbeitsforscher Schröder.ULRIKE HERRMANN