Stochern im Zahlensalat

Innenminister und Sozialministerin wollten gestern beweisen, dass junge Spätaussiedler nicht krimineller sind als ihre deutschen Altersgenossen. Leider mangelte es ihnen an verlässlichen Zahlen

aus DÜSSELDORFNATALIE WIESMANN

Aussiedler in Nordrhein-Westfalen sind gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil unterdurchschnittlich kriminell. Zu diesem Schluss kam Landesinnenminister Fritz Behrens (SPD) bei der gestrigen Vorstellung der Kriminalstatistik 2004 vor der Landespresse in Düsseldorf. Spätaussiedler machten demnach rund 2,4 Prozent der Tatverdächtigen, aber vier Prozent der Bevölkerung aus. Bei den unter 25-Jährigen sei der Prozentsatz zwar höher, 95 Prozent der Russlanddeutschen hätten jedoch noch nie gegen das Gesetz verstoßen – das entspricht dem Durchschnitt in dieser Altersklasse. In einem Punkt unterschieden sich ein „kleiner harter Kern“ der jungen Spätaussiedler allerdings von gleichaltrigen Deutschen und Migrantenjugendlichen: „Sie sind gewalttätiger und stehen oft unter starkem Alkoholeinfluss“, so Behrens.

Doch seine Statistiken sind nur Schätzwerte, genaue Zahlen habe er nicht, musste Behrens auf Nachfragen einräumen. Denn es existiere keine verlässliche Statistik über die Anzahl von Spätaussiedlern im Land – weil sie längst als Deutsche eingebürgert sind. Zahlen gibt es nur zu Spätaussiedlern, die nach NRW einreisen. Ob sie hier noch leben oder aus anderen Bundesländern Spätaussiedler nach NRW gezogen sind, weiß keiner. „Die Landesregierung geht von über 100.000 Spätaussiedlern unter 21 Jahren aus, die in NRW sesshaft sind“, so die Schätzungen von Behrens.

Mit ungewöhnlichem Unmut reagierten dann Pressevertreter auf die Aussagen des Innenministers: „Wir können mit den Zahlen nichts anfangen“. Und so versuchten Behrens und seine Mitarbeiter mit immer neuen Zahlen die Stimmung zu retten – ohne Erfolg. Dabei sind einige MedienvertreterInnen nicht ganz unschuldig an der unbefriedigenden Situation: Bei der Vorstellung der Kriminalitätsstatistik im vergangenen Jahr wollten sie noch wissen, ob am Klischee vom gewalttätigen, kriminellen jungen Russlanddeutschen etwas dran sei. Daraufhin hatte der Innenminister versprochen, die Straftaten der Aussiedler in Zukunft gesondert auszuwerten.

Sozialministerin Birgit Fischer (SPD) ließ sich von der schlechten Stimmung nicht beeinflussen: „Die Befürchtung, dass mit den jungen Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern eine Generation heranwächst, die sich nicht in unsere Gesellschaft integrieren lassen will, ist unbegründet“, sagt sie. Trotz vieler Hindernisse schaffe es der überwiegende Teil der jugendlichen Russlanddeutschen im Land schulisch und beruflich Fuß zu fassen. Um die wenigen jungen, vor allem männlichen Spätaussiedler, die eine hohe Gewaltbereitschaft zeigten, so Fischer, müsse man sich dennoch stärker kümmern als bisher. „Ganz sicher gehört dazu, dass wir den auffälligen Jugendlichen aus der ehemaligen Sowjetunion wieder eine Perspektive eröffnen.“ Man müsse sie dabei unterstützen, die deutsche Sprache zu lernen und ihre schulischen Qualifikationen zu verbessern, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. „Erfolg werden wir nur dann haben, wenn wir Strafverfolgung und Vorbeugungsmaßnahmen richtig miteinander kombinieren“, so Fischer.