Vollendet unvollendet

Die sportliche Karriere von Uschi Disl (34) neigt sich langsam dem Ende zu. Obwohl sie die erfolgreichste Biathletin Deutschlands ist, fehlt ihr ein großer Einzeltitel. Bei der morgen beginnenden WM könnte sich das unter Umständen ändern

AUS HOCHFILZEN JOACHIM MÖLTER

Viel Zeit bleibt Uschi Disl nicht mehr als aktive Biathletin. Sie weiß das, sie hat es ja selbst so gewollt und auch gesagt: „Nach Olympia 2006 ist definitiv Schluss.“ Dann wird sie 35 Jahre alt sein, sie will noch eine Familie haben und Kinder natürlich. Viel Zeit bleibt ihr auch dafür nicht mehr. Aber Uschi Disl ist nicht in Eile, nicht wegen der Karriere und auch nicht wegen der Kinder – sie ruht in sich, auch wenn sie sagt: „Ich wäre nicht böse, wenn ich noch mal 20 wäre und alles von vorn erleben dürfte. Ich mag den Biathlonsport ja so gern.“

Im Moment genießt sie es einfach, noch dabei zu sein. Sagt sie jedenfalls vor den Biathlon-Weltmeisterschaften im österreichischen Hochfilzen, die am morgigen Samstag beginnen. Es wird ihre letzte große Weltmeisterschaft sein und somit ihre vorletzte Chance auf einen Einzeltitel, dieses eine Schmuckstück, das noch fehlt in der ansonsten so imposanten Sammlung der erfolgreichsten Biathletin Deutschlands.

Uschi Disl war zweimal Olympiasiegerin (1998 und 2002) und viermal Weltmeisterin (1995, 96, 97 und 99), jedes Mal mit der Staffel. In Einzelrennen hat sie es hingegen immer nur bis zum zweiten Platz geschafft. Sie hat 27 Weltcuprennen gewonnen, aber nie die Trophäe für den Gesamterfolg, auch da war sie bestenfalls Zweite, dreimal hintereinander sogar, nämlich von 1996 bis 1998.

Uschi Disl findet es „ein bisschen schade, dass die Leute immer nur an Einzeltitel denken“. Sie tut das nämlich nicht, sondern sagt: „Meine Silber- und Bronzemedaillen sind für mich auch schon sehr viel wert.“ Disl fühlt sich jedenfalls nicht als „die Unvollendete“, als die sie von einer Zeitung einmal betitelt wurde. „Ich habe so viel erreicht“, rechnet sie vor, „wenn noch was dazukommt, ist’s schön.“ Und wenn nicht? „Dann kann das auch nicht der Weltuntergang sein.“

Uschi Disl hat in ihrer nun schon 15 Jahre währenden Biathlon-Laufbahn gelernt, mit Niederlagen und Rückschlägen und Unwägbarkeiten umzugehen. Im vorigen Winter zum Beispiel, vor der Heim-WM in Oberhof, fühlte sie sich in der Form ihres Lebens, dann wurde sie krank; erst im letzten Rennen war sie wieder auf den Beinen, wenn auch nicht stabil: Beim Massenstart stürzte sie, am Ende wurde sie Neunte. Sie hoffte, noch einmal in diese Form zu kommen, aber nun, unmittelbar vor der WM, sagt sie: „Ich weiß nicht, wie gut ich bin.“

Anfang Februar schwappte eine Erkältungswelle über das deutsche Frauen-Team hinweg. „Da habe ich ein bisschen Form verloren“, sagt sie. Das ist schade, denn die WM beginnt für sie am Samstag (14 Uhr) mit dem Sprintrennen über 7,5 Kilometer, in dieser Disziplin hat sie 1991 ihr erstes Weltcup-Rennen gewonnen, da hat sie ihre größten Einzelerfolge gefeiert mit den olympischen Silbermedaillen 1998 und 2002 und den zweiten WM-Plätzen 1995 und 2001. Der Sprint ist „halt die Disziplin, wo’s nicht so sehr aufs Schießen ankommt“, sagt sie, denn das ist ihre Stärke sicher nicht. Am Schießstand kriegt sie meistens das große Zittern, sie kommt ja vom Langlauf; und in der Loipe „bestimmt sie das Niveau“, sagt Kati Wilhelm. Die ist im vorigen Sommer eigens von Oberhof nach Ruhpolding gezogen, um mit Uschi Disl trainieren zu können. Und die Oberbayerin hat die Oberhoferin tatsächlich flott gemacht: Wilhelm führt das Weltcup-Klassement an, „die Kati ist sehr fit“, hat Uschi Disl beobachtet in diesen Tagen: „Sie hat sicher ihren Vorteil von der Zusammenarbeit gehabt, aber ich habe auch davon profitiert, dass sie mir auf die Bretter gestiegen ist.“

Zwischendurch war nämlich auch Uschi Disl vorne in der Weltcup-Wertung, aber das gelbe Trikot hat sie ausgerechnet beim Weltcup in Ruhpolding verloren. Da tut sie sich immer schwer, vor allem wegen des Publikums. Noch lange nach ihren Rennen stehen da die Leute vor den Umkleide-Containern und singen: „Wir woll’n die Uschi seh’n!“ So lange, bis die Uschi herauskommt und Autogramme verteilt.

Nun steht in Hochfilzen also wieder ein Heimauftritt für sie bevor, die Bundesgrenzschützerin wohnt mit ihrem Freund ja jenseits der Grenze, in dem österreichischen Ort Kössen, eine halbe Stunde entfernt vom WM-Ort. Wegen der Nähe zu Bayern erwartet das deutsche Team einen ähnlichen Heimvorteil wie 2004 in Oberhof. „Für mich wird diese WM sicher schöner“, glaubt Uschi Disl. In den kommenden Tagen werden ihre Fans wieder vor den Containern stehen und singen, aber diesmal wollen sie mehr: Sie woll’n die Uschi siegen seh’n, wenigstens einmal allein. „Natürlich wäre ein Einzeltitel schön“, sagt sie. „Aber das muss nicht um jeden Preis sein.“