Universitäre Forschung und Business

Die Notwendigkeit, vermehrt Drittmittel einzuwerben und auf Industriekooperationen zu setzen, bedroht die Forschungsfreiheit

Kürzlich wurde die angeschlagene Ethik der US-Gesundheitsbehörde NIH durch neue Regeln zur Lösung von Interessenkonflikten wieder etwas aufpoliert. Dadurch sollen bei der NIH arbeitende Forscher davon abgehalten werden, als Berater für die Industrie aufzutreten. Die Los Angeles Times hatte zuvor umfangreiche finanzielle Verbindungen zwischen NIH-Wissenschaftlern und Pharma- sowie Biotech-Unternehmen aufgedeckt, durch welche Forschungsergebnisse in eine gewünschte Richtung gebogen wurden.

Die Vorfälle werfen die Frage nach der sachgerechten Verwendung von Steuergeldern in Höhe von jährlich 20 Milliarden Dollar auf, welche die Regierung an die Universitäten verteilt und die 60 Prozent der Forschungsetats ausmachen. In den Universitäten ist es mittlerweile Brauch, dass Forscher zur industriellen Verwertung der Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Arbeiten angehalten werden. Vielerorts sind den Universitäten deswegen Risikokapitalfonds und Industrieunternehmen angegliedert, die Forschungsergebnisse patentieren. Und Professoren fungieren oftmals als Berater der Unternehmen, die ihre Erfindungen vermarkten.

Diese Lawine kam 1980 ins Rollen, als der Kongress den Universitäten gesetzlich Patentrechte für Erfindungen zubilligte, die mit öffentlichen Geldern gemacht wurden, um eine schnellere Ausbeutung durch die Industrie zu ermöglichen. Der Gesetzgeber ließ dadurch dem Profitmotiv freien Lauf. Die Industrie investierte im Jahr 2001, dem letzten, für das Zahlen zur Verfügung stehen, 2 Milliarden Dollar in Forschungsvorhaben, die schnellen finanziellen Erfolg versprechen.

Diese Entwicklung ist nicht auf die USA beschränkt, sondern weltweit zu beobachten. Sie stellt einen Bruch mit der Idee der Freiheit und der Einheit von Forschung und Lehre dar. Die Forschung aus Neugier weicht einer Forschung, die auf eine kommerzielle Anwendung hin ausgerichtet ist. Fachbereiche, die Geld versprechen, werden mit Ressourcen, Laborräumen und Ausrüstungen bedacht. Fachbereiche wie Physik oder Philosophie dagegen haben Mühe beim Auftreiben von Mitteln.

Die Offenheit, einst ein Kennzeichen der akademischen Welt, weicht den in der Geschäftswelt üblichen Verhaltensweisen des gegenseitigen Misstrauens und der Abschottung. Von 2.167 Professoren biotechnischer Disziplinen, die 1997 befragt wurden, gaben 34 Prozent an, sie hätten keinen Zugang zu den Arbeitsergebnissen ihrer Kollegen. Die Universitäten sind bereits so profitorientiert, dass sie sogar die Verbreitung grundlegenden Wissens kostspieligen Lizenzverfahren unterwerfen.

Die Entdeckung eines für die Entstehung von Brustkrebs verantwortlichen Gens an der Universität von Utah im Jahre 1994 wurde nicht frei zugänglich gemacht, obgleich die Arbeiten mit 4,6 Millionen Dollar an Steuergeldern finanziert worden waren. Vielmehr wurden die Entdeckung patentiert und alle Rechte daran an das von einem Professor dieser Universität gegründete Unternehmen Myriad Genetics verkauft.

Ein weiteres Ergebnis dieser Entwicklung ist der Verlust von Vertrauen in wissenschaftliche Aussagen. Bei den Verflechtungen von Universitäten und Industrie ist es zunehmend schwieriger, zwischen der wissenschaftlichen Wahrheit, welche die Dinge so beschreibt, wie sie sind, und den Aussagen, welche die Dinge so beschreiben, dass sie jemandem nützen, zu unterscheiden. In Diskussionen um Arzneimittelwirksamkeit oder Klimaerwärmung muss denn inzwischen auch gefragt werden, wer denjenigen bezahlt, der dieses oder jenes sagt. Im letzteren Fall gab es von Präsident Reagan bereits vor mehr als 20 Jahren den berühmt gewordenen Ausspruch: „My scientists tell me that this is not so.“

Abhilfe ist allenfalls in Gestalt von Regeln für die Eindämmung von Interessenkonflikten derjenigen Wissenschaftler zu erwarten, deren Arbeiten mit Steuergeldern bezahlt werden. Ein weiteres Mittel wäre die Verpflichtung der Industrie zu höheren ethischen Standards. Wenn beispielsweise Pharma-Unternehmen anerkennen würden, dass öffentliches Wohlbefinden vor Profit geht und sie die Ergebnisse klinischer Versuche veröffentlichen müssten, könnte Vertrauen zurückgewonnen werden. JÜRGEN WOELKI