Wachsendes Problembewusstsein

betr.: „Wenn das Familiengericht tagt“, taz vom 22. 2. 05

Martin Reichert sei Dank für die ausführliche Analyse. Interessant wäre allerdings auch eine Analyse des mutigen – aber in der Sprache doch timiden offenen Briefes des Schulleiters der Thomas-Morus-Schule gewesen. Wieso spricht der Mann von „Mobbing“, wenn es um blanken Rassismus und kaum verhüllte Vernichtungsdrohungen gegen „unreine“ Frauen geht? Die Neuköllner Maßstäbe sind wohl bei allen Beteiligten etwas verrutscht, aber Neukölln ist eben nur die Spitze des Eisberges: der darunter liegende essenzialistische und autoaggressive Diskurs zum Thema „Deutschland und seine Ausländer“, begleitet uns ja – nicht nur, aber auch in der taz – seit Jahren. So werden wir auch auf einen neuen „Aufstand der Anständigen“ noch eine Weile warten müssen – besser noch wäre aber eine massive Investition und Intervention in die entsprechenden Sozialräume, in der sich polizeiliche, bildungs- und sozialpolitische Maßnahmen ergänzen müssen – geleitet von dem Kriterium der „Nulltoleranz“ gegenüber den um sich greifenden Ethnokillern und Familiengerichten und allen Versuchen, religiöse oder traditionell begründete Ghettos zu errichten. Last but not least: Dass sich der auch in der taz immer wieder vielgeschmähte „Hardliner“ Otto Schily an prominenter Stelle mit Necla Kelek, Autorin der bisher besten Studie zum Thema Zwangsheirat und Ehre im türkischen Diasporamilieu, zusammensetzt und diskutiert, ist immerhin ein erstes Zeichen, dass das Problembewusstsein auch im politischen Raum wächst.

CHRISTOPH MÜLLER-HOFSTEDE, Hürt