Briefroman gegen Arbeitslosigkeit

5,2 Millionen Arbeitslose verwirren sogar die Arbeitsteilung der SPD-Führung. SPD-Chef Müntefering will mit der Union nicht reden. Der Kanzler funkt aus der Wüste Gesprächsbereitschaft. Doch wer den „Pakt für Deutschland“ mit Inhalten füllt, ist offen

VON ULRIKE WINKELMANN

Noch vor zwei Wochen war der „Pakt für Deutschland“ unwichtig. So unwichtig, dass der Arbeitsmarktexperte der CDU, Karl-Josef Laumann, bei der 5-Millionen-Arbeitslose-Debatte im Bundestag sagte: Die Union hätte die zehn Vorschläge „ja bloß aufgeschrieben, weil man beim Arbeitsrecht sofort was machen kann.“ Mit anderen Worten: Was die Union an Ideen für den „Pakt für Deutschland“ zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zusammengekritzelt hatte, nahm sie selbst nicht so ernst. Kaum jemand im Parlament ging darauf ein.

Waren ja auch Ladenhüter: Weiß doch jeder, dass man mit der Abschaffung des Kündigungsschutzes keine Jobs schafft. Selbst die Union. Mit der Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung griff die CDU zwar die jüngste Forderung der Arbeitgeber auf – erklärte allerdings nicht, wie es die Zahl der Arbeitslosen senkt, wenn man der Bundesagentur für Arbeit elf Milliarden Euro wegnimmt.

Seither hat der „Pakt für Deutschland“ eine beachtliche Karriere hingelegt. Die Arbeitslosenzahlen sind auf 5,2 Millionen gestiegen. Die Wahl in Nordrhein-Westfalen ist noch näher gerückt. Der Ruf „Tut endlich was“ hallt von allen Medienwänden wider. Der „Pakt für Deutschland“ trägt jedenfalls einen Titel, der auf die öffentliche Stimmung zugeschnitten ist.

Um dies zu nutzen, verbreiteten CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber am Mittwoch einen Brief, in dem sie den Kanzler zur Zusammenarbeit gegen die Arbeitslosigkeit mit dem „Pakt“ aufforderten.

Der Kanzler, derzeit in arabischen Gefilden unterwegs, schrieb zurück: „Ich bin gern bereit, ein ernst gemeintes Gesprächsangebot anzunehmen.“ Über die Umsetzung von „Hartz IV“, die Schaffung von Spitzenuniversitäten, die Abschaffung der Eigenheimzulage sowie die Reform der Pflegeversicherung würde er reden. Zur Unternehmensbesteuerung werde es in einigen Monaten Vorschläge geben, schrieb Schröder.

Prompt antworteten Merkel und Stoiber gestern: „Freundliche Unterhaltungen“ wollten sie nicht, sondern „beratungsfähige Gesetzentwürfe“. Als auch dieses Schreiben über die Nachrichtenagenturen tickerte, stöhnte der FDP-Vizechef Rainer Brüderle: „Daraus darf jetzt aber kein Briefroman werden.“

Dies dürfte auch SPD-Chef Franz Müntefering gedacht haben. Denn während der Kanzler aus der Wüste zwar auf den „Pakt“ nicht einging, aber Gesprächsbereitschaft funkte, hatte die SPD-Spitze im kalten Deutschland sich auf „keinen Fußbreit“ eingeschworen.

Verzweifelt-höhnisch wiesen Müntefering und sein Vize Ludwig Stiegler die Angebote der Union als intellektuelle Beleidigung zurück. Müntefering trimmt die Partei derzeit auf klaren Abgrenzungskurs. „Sie setzen auf Lüge und Verleumdung. Sie wollen die Macht. Total.“ Dies schrieb Müntefering vor wenigen Tagen über die Union an die Genossen.

Keine Arbeitsteilung ist perfekt. Wenn der eine das große Regieren macht und der andere die Partei mit Identität füttert, sind Widersprüche unvermeidbar. Doch wurde gestern in SPD-Kreisen Müntefering heftig kritisiert. „Der läuft Amok“, hieß es. Der Kanzler habe das öffentliche Bedürfnis nach einer „gemeinsamen Anstrengung“ schon ganz richtig erkannt. Ein Zeichen einer heraufdämmernden großen Koalition sei dies nicht: „Wenn überhaupt, dann gewinnen wir NRW nur mit einem Bekenntnis zu Rot-Grün“. Alles weitere … bleibe abzuwarten.

Andere sahen im Kanzlerbrief einen kleinen publizistischen Anlauf. Am Wochenende kommt Schröder zurück. Dann wird die Inszenierung eines Befreiungsschlags erwartet: Kleinere Steuererleichterungen für Unternehmen, wahrscheinlich gekoppelt mit Investitionen. Vielleicht nennt das Kanzleramt die Aktion ja „Pakt für Deutschland“.