Ein „Russe“ regiert Riga

LETTLAND Die Wirtschaftskrise verändert die politische Landschaft. Die Partei, die einst als „fünfte Kolonne“ Moskaus galt, stellt jetzt den neuen Oberbürgermeister der Hauptstadt

„Das Gefühl der Bedrohung ist kleiner geworden und die Gräben verschwinden“

VON REINHARD WOLFF

Weil Nils Ušakovs russische Eltern hatte, musste er 1999 erst eine Einbürgerungsprüfung mit Sprachtest bestehen, um Staatsbürger des Landes zu werden, in dem er geboren wurde. Zehn Jahre später, am 1. Juli, wird der 33-Jährige nun Oberbürgermeister von Lettlands Hauptstadt Riga werden. In der mit 800.000 EinwohnerInnen größten Stadt im Baltikum leben ein Drittel aller LettInnen. Ušakovs steht für eine bemerkenswerte Entwicklung.

Achtzehn Jahre nach der Unabhängigkeit des Landes von der Sowjetunion übernimmt der Vorsitzende einer Partei die Regie über Riga, die die Nationalkonservativen bis vor Kurzem für eine Art fünfter Kolonne Moskaus hielten. Bei den Kommunalwahlen vor zwei Wochen hatte das Harmonie-Zentrum einen überwältigenden Wahlsieg und mit 26 von 60 Stadtratssitzen beinahe eine absolute Mehrheit errungen.

Hinter der Verdreifachung der Stimmen für diese Mitte-links-Partei, die sich vor allem für die Interessen der russischen Minderheit einsetzte, steht eine neue WählerInnengruppe. Auch ethnische LettInnen stimmten jetzt für das Harmonie-Zentrum, weil es für sie die einzige glaubwürdige Alternative zum korrupten Parteienklüngel war, der das Land in den letzten Jahren regiert und in die Krise gefahren hat.

In Lettland, wo nur 60 Prozent der Bevölkerung ethnische LettInnen waren, galt mehr als eineinhalb Jahrzehnte lang die Herkunft als Basis der nationalen Identität. Über Minderheiten- und Staatsbürgerrechte und die Stellung der russischen Sprache und Kultur wurde erbittert gestritten. Mit dem EU-Beitritt wurde Lettland zu Zugeständnissen gezwungen, welche die amtliche Diskriminierung minderten.

Auch wenn die rechtliche Stellung der Minderheit noch nicht zufriedenstellend ist, scheinen zumindest in Teilen der jungen Generation und unter der städtischen Bevölkerung die Wunden der sowjetischen Besatzungszeit langsam zu verheilen. „Das Gefühl der Bedrohung ist kleiner geworden und die Gräben verschwinden langsam“, sagt der Integrationsexperte Nils Muiznieks. An die Gleichung „links gleich moskauhörig“ glauben immer weniger.

Der neue Oberbürgermeister, der auch Vorsitzender des Harmonie-Zentrums ist, hat einen Anteil an dieser Entwicklung. Ušakovs, der vier Sprachen spricht, in Dänemark Wirtschaftswissenschaften studierte, und seit 1998 als Journalist gearbeitet hat, konnte nicht nur mit seinem Charisma punkten. Die „russischen“ Parteien galten mit ihrem Festhalten an einem starken Staat in der Vergangenheit als Bremser der neoliberalen Entwicklung, die als Motor des Wirtschaftsbooms im Baltikum angesehen wurde. Ein Modell, das sich angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise gründlich diskreditiert hat.

Ob der Erfolg des Harmonie-Zentrums bis zu den Parlamentswahlen im Herbst anhält, wird nicht zuletzt davon abhängen, wie viel Ušakovs in Riga tatsächlich bewegen kann. Für eine Mehrheit im Stadtrat musste er sich mit einem ungleichen Partner, der konservativ-katholischen Ersten Partei, zusammentun. Deren Vorsitzender Ainars Šlesers, ein wiederholt mit Korruptionsvorwürfen konfrontierter Millionär und Oligarch, wird sein Stellvertreter.

Die neue links-christdemokratische Stadtkoalition eint vor allem die Gegnerschaft zur jetzigen Regierung. Sie verspricht zum einen die Unterstützung der sozial Schwächsten, zum anderen aber auch die Förderung der Kleinunternehmer und des Mittelstands, um neue Jobs zu schaffen und die lettische Wirtschaft wieder auf die Beine zu stellen. Wenn nur die Stadtkasse nicht so leer wäre.