Lust und Qual der richtigen Wahl

Pomp, Zierrat und Kitsch: Im Katalog „Wie Wohnen“ wird die Kommunikation von ästhetischen Empfinden unter die Lupe genommen

Der Anspruch, durch Geschmacksbildung aufklärend auf das Bewusstsein des Menschen zu wirken, kann so endlos diskutiert werden wie Joschka Fischers offenes Bonmot, ob der Mensch das Amt oder das Amt den Menschen prägt. Im Katalog „Wie Wohnen. Von Lust und Qual der richtigen Wahl. Ästhetische Bildung in der Alltagskultur des 20. Jahrhunderts“, der anlässlich der gleichnamigen Ausstellung in Bremen erschienen ist, wird die Kommunikation von ästhetischem Empfinden unter die Lupe genommen.

Die ersten nicht nur an vermögendes Bürgertum gerichteten Standards setzte der Werkbund. Die Vereinigung aus Architekten und Künstlern verstand sich als Korrektiv für die überbordenden und sinnentleerten Dekorationen der Gründerzeit und arbeitete mit vergleichenden Studien, für die sich die Fotografie als geeignetes Mittel erwies. Einen solchen pädagogischen Auftrag nahmen, wie Rüdiger Joppien aufzeigt, auch einige Museen wahr, übrigens bis heute: Alljährlich präsentieren das Leipziger Museum für Kunsthandwerk und das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe Leistungsschauen des aktuellen Kunstgewerbes.

Derlei wissenschaftlich verbrämte Geschmacksbildung setzte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Die beiden Protagonisten – Wilhelm Wagenfeld im Westen und Horst Michel im Osten – versuchten Musterformen zu etablieren. Beide kämpften Beate Manske und Hein Köster zufolge gegen jeglichen Pomp und Zierrat, aber auch gegen Formalismus der Wirtschaftswunderjahre, doch geriet ihre apodiktische Haltung in der konsumorientierten Modewelt zunehmend ins Abseits.

Die Staffel übernahmen populäre Magazine, am erfolgreichsten Schöner Wohnen. In seiner Analyse der Zeit von 1970 bis 1990 weist der Innenarchitekt Claude Enderle freilich nach, dass die Sprache nach wie vor suggestive Züge aufweist: „Die ideale Küche“ oder „Das Bad, in dem nichts fehlt“ oder „Was ist rustikal?“ sind klare Positionierungen, ohne freilich das Falsche zu benennen, wie es etwa noch Michel in seinen Pamphleten wider den Kitsch getan hatte.

Die Gegenwart wird ausgespart. Aufschlussreich und ungewohnt offen sind jedoch die Einlassungen des Designers Hansjerg Maier-Aichen zum Begriff „Qualität“. Das Manufactum-Konzept der so genannten guten Dinge mit dem Hang zum Bewährten, aber ohne Lust und Neugierde auf risikobereiten Zeitgeist, sei in die Jahre gekommen. Qualität ergibt sich nach Maier-Aichen aus der Produktidentität, die nur durch die Verschmelzung von Idee, Recherche und authentischer Umgebung erreicht werden kann. Ob das Urteil darüber eine Frage des Geschmacks ist, bleibt allerdings offen. MIKAS

Ausstellung bis 3. April, Wilhelm Wagenfeld Haus, Am Wall 209, Bremen. Katalog: Hg. von Beate Manske im Auftrag der Wilhelm Wagenfeld Stiftung Bremen, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2004, 24,80 €