Die Realität des Künstlers

Menschenleere Räume, die aber einst heftigst durch die Massenmedien geisterten: Das New Yorker Museum of Modern Art adelt den Berliner Fotografen Thomas Demand mit einer Einzelausstellung

Das Foto ist der einzige Ort, an dem die Kunsträume von Thomas Demand wirklich existieren

VON HARALD FRICKE

Es ist ein großer Schritt in seiner Biografie. Mit der eben eröffneten Übersichtsausstellung im New Yorker Museum of Modern Art dürfte der in Berlin lebende Thomas Demand endgültig in der Champions League der zeitgenössischen Kunst angekommen sein. Nach Andreas Gursky ist er damit der zweite Fotograf aus Deutschland, der von dem weltweit wohl berühmtesten Museum innerhalb von vier Jahren mit einer Einzelpräsentation geadelt wird. Das passt nicht recht zum aktuellen Trend, bei dem sich US-Sammler begierig auf „new german painting“ von Neo Rauch, Daniel Richter, Jonathan Meese oder Tim Eitel gestürzt haben. Setzen die großen amerikanischen Institutionen doch lieber auf kühle german Sachlichkeit als auf Pop, Expressionismus und Romantik?

Tatsächlich fällt es schwer, Demand überhaupt auf ein künstlerisches Medium festzulegen. Ganz offensichtlich sind seine Arbeiten zwar Fotografien, die von menschenleeren Räumen geprägt sind. Ein verwüstetes Stasibüro, das Ratestudio von „Was bin ich?“ oder die Badewanne, in der Uwe Barschel starb – stets zeigt der 1964 geborene Demand Schauplätze und Tatorte, deren Bilder für einige Zeit durch die Massenmedien geisterten.

Aber auf den Fotos erscheinen diese Orte bezugslos, als streng formalisierte Szenarien– eher einem reduzierten Bühnenaufbau ähnlich, dessen Akteure längst wieder verschwunden sind. Schon deshalb wird Demand immer wieder attestiert, er würde mit seinen Fotografien eine Spur in die Erinnerung legen, auf der allerdings nicht das Geschehen sichtbar wird, sondern nur „schwarze Löcher“, wie zuletzt in einer Kritik der Süddeutschen Zeitung zu lesen war.

Doch man muss diese Reduktion auch formal ernst nehmen. Selbst die Idee von den konkreten Räumen, auf die sich Demand zu beziehen scheint, zerfällt bei genauerer Betrachtung. Sie sind akribisch in seinem Atelier nachgebaut, aus Pappe und Papier. Die Wirklichkeit, auf die im Fernsehen oder in den Zeitungen mit Hochglanzfotos und Vorortreportagen rekuriert wird, bleibt bei Demand eine Bastelei mit Klebstoff und Schere. Insofern halten seine Konstruktionen auch niemals gesellschaftliche Realitäten fest: Wenn in ihnen überhaupt irgendein Momentum der Fotografie enthalten ist, dann geben sie nichts anderes wieder als eine Situation im Atelier des Künstlers. Das ist ein klassisches Beispiel für Selbstreferenzialität, aber nicht unbedingt für eine Auseinandersetzung mit der Welt, in der wir leben. Darin nun liegt ein gewaltiger Unterschied zu den großformatigen Aufnahmen von Andreas Gursky, mit dem Demand dennoch so häufig verglichen wird.

Spricht man ihn selbst auf Vorbilder und Referenzen an, dann zeigt Demand allerdings ganz andere, zudem sehr verblüffende Parallelen auf. Er ist im Düsseldorf der frühen Neunzigerjahre bei Fritz Schwegler als Bildhauer ausgebildet worden. Damals entstand dort als Reaktion auf die Malerfürsten Immendorff und Richter, aber auch in Abgrenzung zur fotografischen Becher-Schule, eine neue Art von Skulptur. Sie sollte schnell gemacht sein, aus billigen Materialien bestehen und eher als Denkmodell denn als Monument dienen.

Demand begann zu experimentieren: „Ich wollte Dinge herstellen, die man an einem Tag macht und die ebenso schnell wieder vergänglich sein konnten. Deshalb Pappe, Staniolfolie und Ballons, alles billige Materialien, mit denen jeder schon einmal hantiert hat.“ Aber nach zwei, drei Jahren begann Demand in seiner Arbeit zu stagnieren, weil er mit seinen Objekten für einen Tag keinen Fortschritt zeigte: Indem er die Skulpturen nach der Fertigstellung auf den Müll warf, blieb nie etwas bestehen, seine Kunst wurde in einem sehr wörtlichen Sinn gegenstandslos. Also wandte er sich der Fotografie zu, um die fragilen Dinge zumindest im Bild zu festzuhalten.

Diese durchaus pragmatischen Herangehensweise hat sich bei Demand zur souveränen Technik verfeinert. Dabei ist er sich selbst bei seinen eleganten Cibachrome-Prints nicht einmal untreu geworden: Noch immer sieht man in den Details mitunter die Klebespuren und eingeknickten Ecken des Papiers, aus dem die Tische, Regale oder Bürowände gebaut sind. Was aufgrund der aufwändigen fotografischen Inszenierung zunächst wie ein geheimnisvoller Ort wirkt, ist genau genommen nur die konsequente Dokumentation von Prozessen – der mittlerweile monatelange Feinschliff am Modell inklusive.

Demands Arbeiten sind Fotos von Skulpturen, die wiederum nach Bildvorlagen aus Zeitschriften und Nachrichtensendungen konstruiert sind. In diesem Punkt hat das Hin- und Herwechseln zwischen den medialen Ebenen allerdings Methode, ist womöglich ästhetisches Programm: Mit jeder neuen Transformation verliert sich ein Stück weit mehr die Spur der Realität, wird aus dem „Tunnel“, in dem Lady Di auf der Flucht vor den Paparazzi zu Tode kam, ein Kunstobjekt, das mehr an die verwinkelten Geometrien der Minimal Art erinnert als an die Pariser Tragödie.

Außer in den Fotografien wird man diese Objekte aber ohnehin niemals zu sehen bekommen. Das Foto ist der einzige Ort, an dem die Kunsträume von Thomas Demand existieren. Insofern zeigt die New Yorker Ausstellung im MoMA aber auch nicht den Triumph der Fotografie, sondern vielmehr, was vom Bildhauer übrig blieb.

Thomas Demand, bis 20. Mai, Museum of Modern Art, New York