Scherf zur „Zukunft trotz leerer Kassen“

In Moordeich hat Bremens Regierungschef über die „Zukunft trotz leerer Kassen“ gesprochen – und Kommunalpolitiker beeindruckt: Die neuen Leitbilder sind parteiübergreifend gültig. Jedenfalls so lange es hinreichend unkonkret bleibt

„Wenn der so weiter macht, dann heißt er Henning Thatcher“

Bremen taz ■ Wenn ein Vortrag von Henning Scherf über das Thema „Der Bremer Weg – Zukunft trotz leerer Kassen“ angekündigt ist, verspricht das in diesen Wochen besonders spannend zu werden. Gibt es „Licht am Ende des Tunnels“, wenigstens ein politisches Konzept? Im Landhotel „Nobel“ in Moordeich war der Bremer Regierungschef kürzlich mit diesem Thema angekündigt – nicht im Bremer Parlament. An die hundert Kommunalvertreter aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein waren zu dem „Interkommunalen Politikertreffen“ gekommen.

Wenn die Bevölkerungszahlen sinken, dann geht das zu aller erst die Kommunen an, erklärte der Bertelsmann-Vorstand Johannes Meier in seiner Einleitung. Die Zahl der guten Steuerzahler sinkt, die der hilfebedürftigen alten Menschen steigt: Der Staat „macht sich unfinanzierbar“, wenn er weiter den Eindruck erwecke, er sei für alles zuständig. Der Bertelsmann-Vertreter kritisierte in diesem Zusammenhang die „Wachstumsfixierung“, notwendig seien Leitbilder für „Konsolidierung“, für „bürgerschaftliches Engagement statt Vollkasko Mentalität“.

An dieses Stichwort konnte Henning Scherf mühelos anknüpfen. „Auf die Einnahmen haben wir keinen Einfluss“, bekannte er, „nicht einmal die Konjunktur können wir beeinflussen.“ Die Effekte von „konjunktursteigernden Maßnahmen“ jedenfalls kämen nicht in der Kasse an. Jetzt gehe es darum, die staatlichen Dienstleistungen neu zu definieren. „Es gibt kein Tabu“, sagte Scherf mit gedämpfter Stimme. Früher, als er noch Juso gewesen sei, habe er das anders gesehen, da sollte alles in staatliche Hand. Nun ist, zum Beispiel, der Müll radikal privatisiert, die Stadtwerke sind verkauft. Die Telekom beschwere sich bei ihm, dass die EWE ihr in Bremen Marktanteile wegnehme. „Ich lerne, dass es eine vitale Chance gibt.“ Auch in der Hafenwirtschaft: „Wir greifen nicht nur die Rotterdamer an, sondern auch die in Singapur und China.“

In privater Organisationsform geht das alles besser, als wenn der Staat etwas zu organisieren versucht. „Spannend wird das bei den Kindergärten“, sagt Scherf. Und bei den Privatschulen. „Ich bin inzwischen glücklich, dass wir eine ganze Reihe Privatschulen haben.“ Private Träger seien offenbar attraktiver als die staatlichen mit doppeltem Effekt: „Wir zahlen viel weniger und offenbar kommen sie besser an. Die privaten Kindergärten haben die Wartelisten, nicht die staatlichen.“ Man müsse die Menschen beteiligen, Eltern einbeziehen. Kinder aus überforderten, zerstörten Familien für drei Stunden herauszunehmen und sie dann wieder hineinzuschicken, das mache doch keinen Sinn. Wenn man die Mütter in die Arbeit der Kita einbinden würde, könnte damit gleichzeitig ihre Kompetenz gestärkt werden. Das gelte auch für die Schulen: „Lehrer sind dann gut, wenn sie die Eltern erreichen.“ Kritische Nachfragen gab es keine – dazu beispielsweise, dass in Bremen die Privatschulen jahrelang vom Staat bekämpft und noch heute so kurz gehalten werden, dass sie ihre Attraktivität kaum entfalten können, dass die Überführung der Kitas in privatrechtliche Formen seit Jahren diskutiert und immer wieder blockiert wurde, dass die Kitas mit ihrem Personal kaum die Kinder betreuen können, geschweige denn auch noch Eltern.

Aber Scherf wäre nicht Scherf, würde er nicht zugleich betonen, wie angenehm er das Regieren in der großen Koalition findet. „Die Menschen können die gegenseitigen Schuldzuweisungen nicht ertragen, sie wollen Lösungen und bitte sehr verständlich“, erklärte er die Zustimmung in der Bevölkerung für das Modell der reduzierten Demokratie. Nur in Berlin, da käme sein Lob für die große Koalition schlecht an: „Die wollen das in Berlin nicht hören, beide nicht.“ Auch die CDU nicht. Auf den Einwand einer Kreistagsabgeordneten aus Soest, ob nicht auch in der Politik die Konkurrenz gut täte, ging Scherf nicht ein.

Johannes Meier war beeindruckt. Insbesondere deswegen, weil Scherf „auch seine eigene Entwicklung“ dargestellt und den Mut habe, das was er in den 70er-Jahren gemacht habe, zu korrigieren. Es gebe offenbar einen neuen gesellschaftspolitischen Konsens, meinte Meier. Was Scherf da vertreten habe, „das habe ich mit anderen Worten von Herrn Merz gehört“. Die Wahlkampfrhetorik (NRW) von Jürgen Rüttgers (CDU) sei vom selben Leitbild geprägt. Welcher Politiker dann regiert, „das ist dann eigentlich sekundär“, formulierte Meier. Als Scherf schon den Saal verlassen hatte, äußerte der Landrat von Diepholz und Leiter der Versammlung, Gerd Stötzel, beeindruckt: „Wenn der 15 Jahre so weitermacht, dann heißt er Henning Thatcher.“

Klaus Wolschner