Mensch und Matrix

Der Film „Aufrecht gehen“ zeichnet den Lebensweg von Rudi Dutschke nach und zeigt den Aufbruch der 68er

Dutschke – der Name ist zu einer Matrix geworden. Der Mensch dahinter wird nur noch in Schemen erkennbar: Ein Mann am Mikrofon mit einer etwas blechernen Stimme, Demonstrationen, ein Attentat, Tod. Zumindest ansatzweise füllt Helga Reidemeisters Film „Aufrecht gehen“, der 1988 entstand, die Leerstellen dazwischen. Ihre Collage aus historischen Dokumentaraufnahmen, Interviews und Szenen aus der politischen Gegenwart der 80er-Jahre zeichnet den Lebensweg eines Menschen nach, von dem sein Vater immer sagte: „Rudi war der Beste.“

Der Film, der heute im Dokument-Kino in Mitte zu sehen ist, zeigt, dass die 68er eine radikal andere Sicht auf die Gesellschaft herausforderten, dass sie sich gegen Entfremdung, gegen Konsumterror, gegen Ausbeutung von Natur und Dritter Welt stellten und dass sie für die Freiheit des Denkens eintraten. Dutschke war einer, der Verantwortung übernahm für diese Überzeugungen. Im Film wird auch deutlich, wie aggressiv sich der gesellschaftliche Mainstream, allen voran die Springer-Presse, dagegen wehrte.

Helga Reidemeister zieht eine Linie von den 68ern bis zur Hausbesetzerbewegung in den 80er-Jahren. Das eine sei nicht ohne das andere denkbar. Aus heutiger Perspektive leistet der Film allerdings mehr: Er zeigt, wie aktuell das ist, was die damalige Aufbruchgeneration wollte. Denn Gegenspieler Dutschkes an der Freien Universität war Eberhard Diepgen, der später lange Zeit Regierender Bürgermeister Berlins war. Er und seine Gefolgsleute standen schon damals für ein System, das Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren will und damit gerechte Gesellschaftssysteme unmöglich macht. Im Grunde seien sie, als Vertreter eines korrupten Establishments, die Sieger des Gesellschaftskampfes, den die 68er anstießen, wie einer der Protagonisten im Film sagt. WS