Trendwinning im Powerresearch

Aus unserer Serie „Heruntergekommene Berufe“ – Heute: Der Personal Coach

Coach werden kann jeder Eierkopf. Ein Diplom gibt es bei Detlef B.

Morgens um halb sieben, zwischen Hamburg und Haiti. Die postindustrielle Monade schlurft ins Bad, und der Toilettenspiegel feixt: „Zu fett, zu alt, zu unfexibel. Du bist ein Weichei. Du bist unterbezahlt. Du hast Schulden. Du hast Mundgeruch. Du wirst gemobbt, dein Hüfthalter bringt dich um, und keiner hat dich lieb.“ Heideggers „Ausgesetztsein im Uneigentlichen“ springt einem wieder mal voll Rohr ins ungewaschene Gesicht. Früher hielt man das aus. Wenn nicht, kam Mutti, strich uns übers Haar und spendierte drei Mark. Dafür gab’s drei Bier. Man trank sie weg und die Welt war wieder im Lot. Heute ist Biertrinken out. Stattdessen drängen sich Menschen wie Detlef B. in unser Leben. Detlef B. ist „Personal Coach“, man darf auch „Lebens-Berater“ zu ihm sagen, weil er weiß, wo’s klemmt: „Es fehlt einfach das O.k.-Gefühl“, sagt Herr B. Wenn du ihm 160 Euro überweist, erklärt er dir, wie man in zwei Tagen viele tolle „O.k.-Gefühle“ sammeln kann. Zum Beispiel, indem „du dir selbst begegnest“. Oft ist das ein Schock. Halb so schlimm, sagt Herr B. und verspricht, deine „Work-Life-Balance“ wieder in die Reihe zu bringen. Dafür musst du nochmal 16.000 Euro überweisen. Denn das kann dauern, und ob’s klappt, ist umstritten. Am Ende hat wenigstens Herr B. ein „O.k.-Gefühl“. Und damit sind wir mittendrin im Sumpf aus Gier, Kurpfuscherei und Verderbtheit.

Erfunden wurde das „Coaching“ in Brooklyn von einem Handlungsreisenden namens Willy Loman. Als Loman kurz vor der Pensionierung gefeuert wurde, beschloss er sich zu rächen. An seinem Ex-Chef Howard Wagner und an der Globalisierung. Er kreierte das New-Economy-Gedöns, veranstaltete Gaga- Workshops, die „Future Business Modelling“ hießen, und trieb mit „Trendwinning“- und „Powerresearch“-Seminaren ganze Vorstandsetagen in den Ruin. Lomans Feldzug geriet außer Kontrolle. Bald waren nicht nur so genannte „Entscheider“ dem Irrsinn verfallen, die Paranoia erfasste die ganze Welt. Seitdem braucht sie Hilfe und das Coaching-Wesen rast schneller um den Erdball als die Hühnergrippe. Dabei sind ihre Vertreter längst zu einer Bande rohester Menschen- und Sittenverderber mutiert, die heruntergekommen zu nennen eine Beleidigung für in Ehren verlodderte Berufszweige wie DFB-Präsident, AOK-Chefin oder Dramatiker wäre.

„Ich bin vertraut mit der Anwendung ausschließlich wissenschaftlich anerkannter Coaching-Methoden“, prahlt das Gewerbe. „Ich bin Mitglied im Qualitätsring Coaching.“ Vor allem aber „bin ich Mensch“. In dieser Eigenschaft achtet man darauf, „dass unsere Ideen zu Ihrem genetischen Code, Ihrer Kultur und Ihren Finanzen passen“, und entwickelt „einen realistischen Maßnahmenplan“. Ein Blick auf einschlägige Internetseiten genügt, um das kriminelle Ausmaß dieses Lügengebildes zu erfassen. Schaudernd resümiert eine Monika ihre erste Coaching-Sitzung: „Oft geht mir ein Satz aus dem Seminar durch den Kopf: Schauen wir mal, was passiert – und dann passierten Dinge, die unfassbar schienen.“ Das kann man wohl sagen. Depressive Steuerbürger krakeln „Mind-Maps“, „Beziehungslandkarten“ und „Energieskalen“, Zwangneurotiker formulieren „Top-Ziele“ (Ich bin gelöst und locker, ich bin in Freude für das Leben“), Bettnässer basteln „Zufriedenheitsbarometer“, cholerische Metzger üben das „Voll Herzlich Handeln“, während Totalversager „Skulpturen für ihre Lebensaufgaben“ modellieren. Anderswo werden sie gezwungen, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben – „im Stil von Rosamunde Pilcher“. Horst, ein von Selbstzweifeln zerfressener Öko-Imker, sollte außerdem zwei Listen anfertigen: „Dinge, für die ich zu blöd bin“ und „Dinge, die ich wirklich gut kann“. Die erste Liste war 30 Seiten lang. Die zweite war ein leeres Blatt. Nach dieser Übung sagte er: „Ich bin jetzt mit mir selbst vertraut.“ Horst hat mittlerweile Konkurs angemeldet und tröstet sich mit einer „Selbsthypnose-CD“. Der Mann ist nicht der Einzige, der ein Coaching als mentales Voll-Wrack beendet. Dem „ichschwachen“ Gynäkologen Kai verordnete man eine „Schreitherapie“. Nun joggt er durch den Stadtwald und bellt alle zehn Meter „Scheiße“, „Mist“ und „Arschloch“ in die Hecken. Der verwirrte Jurist Uwe scheiterte dagegen an der Übung „100 Prozent Aufmerksamkeit“. Sein Coach berichtet: „Er begann damit, die Treppen von meiner Praxis im dritten Stock nach der Sitzung hinunterzusteigen – immer im Bewusstsein, nur die Treppe hinunterzugehen. Sobald andere Gedanken kamen, blieb er stehen, sammelte sich und ging erst dann weiter.“ Was der Strolch verschweigt: Im zweiten Stock dachte der Anwalt an den Obolus, der für den Unfug zu berappen war. Er stürzte und brach sich dreimal das Schlüsselbein.

Beschwerden und Regressforderungen sind sinnlos. Das Coaching ist eine „psychologisch beratende Tätigkeit außerhalb der Heilkunde“ und somit weder genehmigungs- noch überwachungspflichtig (Psychotherapeutengesetz, § 1 [Berufsausübung], Abs. 3). Mit anderen Worten, Coach werden kann jeder Eierkopf. Ein Diplom gibt es bei Detlef B. MICHAEL QUASTHOFF