Eine Farce mit gutem Ende

Ein Messfehler führt dazu, dass Bianca Kappler weiter springt, als sie es kann – und kostet ihr fast die Medaille

MADRID taz ■ Der Samstag war kein guter Tag für Bianca Kappler, und er endete statt auf dem höchsten Siegertreppchen im zugigen Treppenhaus. Während die Weitspringerin aus Rehlingen auf den kalten Stufen Tränen vergoss, wurde drinnen über die Goldmedaille verhandelt, die sie zunächst gewonnen und dann doch wieder aberkannt bekommen hatte. Kappler weinte allerdings nicht um die Siegerplakette, sie weinte, weil ein sportliches Finale zu einer Farce ausuferte, deren Ausgang allein in den Händen der diskutierenden Funktionäre lag. Grund aller Debatten war Kapplers letzter Sprung im Finale der Hallen-EM in Madrid, für den die Anzeigentafeln eine Weite von 6,96 Metern verkündet und der die 27-Jährige schlagartig an die Spitze des Klassements katapultiert hatte. Kappler selbst, mit einer Hallen-Bestleistung von 6,63 m und keineswegs als Favoritin nach Spanien gereist, schüttelte verwundert den Kopf über die notierte Weite, ihre Konkurrentinnen ebenfalls, doch der Wettkampf wurde fortgesetzt. Erst nach Beendigung des letzten Durchgangs beschwerte sich die Zweitplatzierte. Naide Gomes (6,70 m) aus Portugal fühlte sich um Gold betrogen – und das zu Recht, wie die Wiederholung der Fernsehbilder leicht erkennen ließ.

Ihr Protest hatte dennoch zunächst keinen Erfolg. Die Anzeigentafeln verkündeten jedenfalls weiter den Sieg der Deutschen, die entsprechend auch zur Dopingkontrolle gebeten wurde. Gratulationen nahm die vermeintliche Europameisterin freilich nicht entgegen. „Ich denke nicht, dass ich 6,96 m springen kann“, sagte sie, „aber vom Gefühl her war das der beste Sprung von allen.“ Kappler vermutete einen simplen Zahlendreher, 6,69 hielt sie für realistisch. „Ich weiß, wie hart ich arbeiten muss, um zwei Zentimeter weiter zu springen – 30 wären doch ein bisschen viel.“ Entsprechend wünschte sie sich, dass ihr 6,69 m anerkannt würden, was Silber bedeutet hätte. „Das wäre ehrlicher“, sagte Kappler.

Als sie von der Dopingkontrolle zurückkkommt, sind DLV-Sportdirektor Frank Hensel und Bundestrainer Jürgen Mallow bereits in hektische Diskussionen verstrickt. Kapplers sechster Sprung wurde annulliert, mit ihren 6,53 m aus dem vierten Durchgang lag sie sie plötzlich auf Platz sieben. „Die Messung war definitiv falsch“, begründete dies Ivan Khodabaksch, technischer Mitarbeiter des Europäischen Leichtathletik-Verbandes (EAA). So weit war man sich einig, auch Mallow wusste, dass Kapplers Sprung kein Wunder war; er war sich jedoch auch relativ sicher, dass er für eine Medaille gereicht hätte. Der Vorschlag der EAA, Kappler am Sonntag um 16 Uhr einen neuen sechsten Versuch zu gewähren, löste bei den DLV-Verantwortlichen jedenfalls Entrüstung aus. Mallow: „Einen Zirkussprung werden wir nicht akzeptieren.“ Nach Ansicht des Bundestrainers gibt es keine Regel, die eine Wiederholung eines gültig gegebenen Sprungs zulässt, zumal das Finale bereits abgeschlossen war. Der Ansicht, dass ein Messfehler einer Athletin nicht nachteilig ausgelegt werden darf, vertrat gestern auch das Schiedsgericht der EAA. Nach dreistündiger Klausur entschied es: Kapplers sechster Sprung waren keine 6,96 m, aber im Medaillenbereich – und sprach ihr die Bronzemedaille zu, die sie sich mit der Rumänin Adnina Anton teilen muss. „Das ist ein salomonisches Urteil“, befand DLV-Präsident Clemens Prokop. Der Sonntag war ein guter Tag für Bianca Kappler. SUSANNE ROHLFING