Union zittert Sieg entgegen

Vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat die CDU nur einen ernst zu nehmenden Gegner: sich selbst. Obwohl die Christdemokraten mit komfortablem Abstand vor der SPD liegen, fürchtet Parteichef Rüttgers ein zweites Schleswig-Holstein

AUS BOCHUM ANDREAS WYPUTTA

„Die CDU ist gut drauf“, ruft Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers den Delegierten des Landesparteitags zu. Pünktlich zum Wahlkampfauftakt am Sonnabend haben die Christdemokraten die seit 39 Jahren in Nordrhein-Westfalen regierende SPD in den Umfragen überholt, liegen bis zu acht Prozentpunkte vorn. Doch der Applaus in Bochum bleibt verhalten – selbst im Stimmungshoch wirkt Rüttgers noch unsicher.

„Keine Euphorie, kein Übermut“: Nordrhein-Westfalens CDU-Oppositionsführer hat die Lektion aus dem Landtagswahlkampf des Jahres 2000, als Rüttgers schon einmal wie der sichere Sieger aussah, dann aber durch Kohls Parteispendenaffäre um alle Chancen gebracht wurde, nicht vergessen. Jetzt profitieren die Christdemokraten von der Schwäche von Rot-Grün in Bund und Land: Noch mehr als die Visa-Affäre wird die Massenarbeitslosigkeit zu einer Gefahr besonders für die SPD.

Die mit Hartz explodierenden Arbeitslosenquoten von bis zu 22 Prozent etwa in Gelsenkirchen haben die Wähler geschockt. Rüttgers selbst setzt auf ein neokonservatives Sparprogramm – vorbei die Zeiten, in denen sich der Rheinländer mit Forderungen nach einer „Generalrevision“ von Hartz einen sozialen Anstrich geben wollte. Die Arbeitszeit müsse auf 42 Stunden erhöht, die Macht der Gewerkschaften durch „innerbetriebliche Bündnisse“ reduziert werden. Staatliche Konjunkturprogramme sind für Rüttgers „Steinzeitökonomie“, die CDU will sparen: Bis 2012 sollen die Personal- und Sachkosten bis zu 20 Prozent reduziert werden. „Ohne Konsolidierung kein Wachstum, ohne geordnete Finanzen keine neuen Jobs“ – Wirtschafts- und Finanzpolitik wie zur Sanierung des Haushalts einer Kleinfamilie. Rot-Grün habe versagt, hämmert die Führung der nordrhein-westfälischen CDU der Basis ein.

Immer wieder werden vier Kennziffern wiederholt: Mehr als eine Million Arbeitslose, mehr als fünf Millionen ausgefallener Stunden an den staatlichen Schulen, mehr als 110 Milliarden Euro Schulden und über 1,5 Millionen Straftaten im Jahr sollen ein Bild des drohenden Absturzes zeichnen. Mit einer schwarz-gelben Landesregierung leuchte die Zukunft dagegen. „Mein Ziel ist, die Bayern einzuholen, wenn möglich zu überholen“, sagt Rüttgers.

CDU-Bundesparteichefin Angela Merkel kommt wie so oft zu spät, klingt aber ähnlich: In einer Rede jammert sie zunächst über die schlechte Infrastruktur als Grund ihrer Verspätung – dabei hat NRW das dichteste Autobahnnetz der Republik. Es folgen Klagen über Rot-Grün als Innovationsbremse, über die Chancen der Gentechnologie. „Wir kämpfen für Arbeitsplätze, die ihr noch gar nicht kennt“ – offensichtlich hält Merkel ihre Wählerschaft für schlicht strukturiert. Die Lohnnebenkosten müssten reduziert, die Unternehmensteuern auf das Niveau „Österreichs oder der Slowakei“ gesenkt werden, wirbt die CDU-Chefin für ihren „Pakt für Deutschland“.

Doch ob das Senken der Sozialstandards zum Sieg reicht, bezweifelt selbst Rüttgers – die Zitterpartie in Schleswig.Holstein, wo CDU-Herausforderer Peter Harry Carstensen denkbar knapp scheiterte, gilt als Horrorszenario. „Die anderen geben nicht auf“, warnt der Kandidat und fordert: „Kämpfen, kämpfen, kämpfen“.