Theologen kürzt man nicht

Sparbeschluss, Kürzungspapier, Empörung: Das ist der klassische Dreiklang der Uni-Politik. Das Rektorat der Greifswalder Alma mater variiert ihn gerade auf eigenwillige Weise. Gut möglich, dass es die damit ausgelöste Welle des Zorns nicht übersteht

Von Benno Schirrmeister

Es gab in Deutschland bereits vier erfolglose Versuche – in München, in Berlin und zuletzt in Hamburg –, eine theologische Fakultät zu schließen. Aber die gingen stets von der Landesregierungen aus. Das ist in Greifswald anders. Da unternimmt ihn das Rektorat.

Innovativer Gehorsam

„Nein, zu den Inhalten des Vorschlags können wir noch gar nichts sagen“, sagt die Sprecherin des Bildungsministers. Die Tendenz finde man zwar richtig, so Heike Neitzert. Aber über die Details werde erst im Laufe des Monats verhandelt. In toto ist der Vorschlag ein Konzeptpapier, sein Umfang knapp zweieinhalb Seiten. Verfasst hat es der Greifswalder Rektor Rainer Westermann gemeinsam mit seinem Rostocker Amtskollegen Hans Jürgen Wendel. Auf der ersten Seite verwahren sich die Magnifizenzen gegen die Einsparforderungen der Landesregierung. Auf der zweiten skizzieren sie, wie sie umsetzbar sind: Die Geisteswissenschaften seien in Rostock zu konzentrieren, dafür die Juristenausbildung in Greifswald. Auf der dritten Seite dann das wissenschaftspolitische Novum: „Theologie und Kirchenmusik werden in Greifswald aufgegeben“, heißt es da, „und in Rostock verstärkt.“

Harakiri des Rektors

Der Vorstoß hat, zumindest was den Greifswalder Uni-Chef angeht, etwas von Harakiri. Politisch ist er nicht durchsetzbar, denn dazu müsste der Kirchenstaatsvertrag gekündigt werden. Noch höher ist die juristische Hürde: „Die Einrichtungen theologischer Fakultäten an den Landesuniversitäten wird den Kirchen gewährleistet“, heißt es, nicht zufällig im Plural, in der Landesverfassung. Um das zu ändern bräuchte die rot-rote Koalition in Schwerin eine Zweidrittelmehrheit. Hat sie aber nicht.

Einer gegen alle?

Nachdem er den Vorschlag zu Papier gebracht hat, ist Rektor Westermann, ein erfahrener Psychologe, in den Urlaub entschwunden. Aber vielleicht finden sich ja Mitstreiter für seinen Strukturvorschlag? Immerhin war er vor zwei Jahren ins Amt gekommen, weil er angekündigt hatte, konstruktiv auf Sparzwänge zu reagieren – durch „einschneidende Änderungen“. Westermann gewann die Kampfabstimmung mit 36 zu 13 Stimmen. Beim einschneidenden Ändern allerdings hat er versäumt, Mehrheiten zu suchen. „Mit uns hat es keine Gespräche über die Schließung gegeben“ sagt Theologie-Dekan Michael Herbst. Die Rektoren hätten das „zur alleinigen Chefsache erklärt“. Herbst ist Betroffener. Aber kritische Stimmen gibt’s auch von anderer Seite: „Wir waren nicht beteiligt“ gibt sich die Vorsitzende des akademischen Senats, Heidrun Peters, recht verschnupft. Einen der Prorektoren war auch nicht eingeweiht. Weil der religiös ist, behaupten manche.

Atheismus-Streit

Westermann ist vor zehn Jahren aus Göttingen nach Greifswald gekommen. Er trage, wird kolportiert, seinen Atheismus wie eine Monstranz vor sich her. Der Streit eine Ideologie-Debatte? Deutliche Worte findet der Mediziner Siegfried Wiersbitzky: Er müsse darauf hinweisen, schreibt der Leiter der Uni-Kinderklinik an Bildungsminister Hans-Robert Metelmann (parteilos) „dass Menschen nicht nur biologische Wesen sind.“ Religion sei unverzichtbarer Bestandteil menschlicher Existenz.

Effizienz-Deutungen

Ganz solo war Westermann allerdings nicht: Beraten hatte ihn nach eigenem Bekunden Prorektor Claus Dieter Classen. „Das ist kein antiklerikaler oder atheistischer Vorstoß“, wehrt sich der Jurist. Nur müsse sich eben die Theologie „wie jedes andere Fach auch“ den Ansprüchen an Effizienz stellen. Im Gespräch verweist er deshalb auf die „relativ kleinen Studenten- und Absolventenzahlen“ hin, für die doch eine recht große Menge an Personal notwendig sei. Dass die Fakultät „mit einer minimalen personalen Ausstattung“ das leiste, „was an Theologischen Fakultäten auch mit größerer Ausstattung erwartet werden kann“, steht in der Zielvereinbarung zwischen Uni und Fachbereich. Sie stammt vom 10. Juni 2004. Unterschrieben hat sie – Prorektor Classen.

Traditions-Management

Unter 20 Prozent Gläubige gibt es in Vorpommern noch: Da verbietet sich ein traditionalistisches Argument. Dass die Theologie Gründungsfakultät war und prominente Theologen-Namen mit ihr verbunden sind – klar. Aber die Rahmenbedingungen sind halt völlig verändert. Herbst, praktischer Theologe, der in der Kirche den Dienstleistungsgeist vermisst und „auch zielgerichtetes und planmäßiges Arbeiten“ zu den Gottesgaben zählt, ist dafür zu schlau. Er unterstreicht „die Bedeutung von Theologie gerade nach dem 11. September“ und ihren auch für die Naturwissenschaften wichtigen ethischen Anspruch. Vor allem aber verweist er darauf, dass die Konversion einer volkskirchlich geprägten Region zur Diaspora ein noch weitgehend unerforschtes Phänomen ist. Vor knapp einem Jahr hat die Uni Greifswald deshalb ein „Institut zur Erforschung von Evangelisation“ bekommen. Bundesweit einmalig. Und komplett fremdfinanziert. Sponsor ist die württembergische Landeskirche. Ob die Gelder auch nach einem Umzug nach Rostock fließen würden, bezeichnet Herbst als „unwahrscheinlich.“ Den Kürzungsdebatten sehe er gelassen entgegen. Ob das dem Rektorat genauso geht, war nicht zu ermitteln.