Im Paradies des multikulturellen Gleichmuts

Jan Feddersens Gastrokritik: DIe Kaffeehauskette Balzac, unter anderem am Checkpoint Charlie, ist das Tchibo der jugendlichen Mittelschichten

Der Grad der Zivilisiertheit einer Gesellschaft ließe sich, so fand es mal eine schwedische Soziologin heraus, am Grad ihrer Zugeneigtheit zum Wein statt zum harten Alkohol messen: Wo mehr gegorener Rebensaft gesoffen wird und weniger Schnaps, waltet mehr Anstand. Man kann diese These ableiten und sagen: Wo Kaffeehäuser mit amerikanischen Style die städtischen Räume erobern, herrscht multikultureller Gleichmut, also ein Fastzustand der Idee vom Paradies.

Balzac ist insofern der Trendsetter in Deutschland, gewiss die Kaffeekette der Stunde – sie ist der Tchibo der jugendlichen Mittelschichten. Die Frage ist: Ist diese Variante von Starbuck’s, ist diese Volksversion vom Café Einstein (an der Französischen Straße) auch nett zu Gästen, die nicht aussehen wie Menschen, die sich in der „Come together“-Idee (Motto an den Wänden der Balzac-Häuser) der Attacgeneracionados auskennen? Antwort: Ja. Kaffeehäuser wie das Balzac haben die Funktion der Kneipe übernommen. Man kommt rein, trinkt, klönt und geht wieder. Haben traditionelle Bierschwemmen mittlerweile den Geschmack von Stammkneipen angenommen – Außenstehende fühlen sich in trauter Runde irgendwie nicht erwünscht –, lebt das Balzac von der klassischen Idee, dass alle willkommen sind.

Man kauft selbstverständlich immer das gleiche, strikt nonalkoholische Getränk in allen möglichen Varianten. Reinen Kaffee gibt es fast nur nebenbei, und wie es sich gehört, heißt er: House Coffee. Groß, mittel und klein. Die Chance auf Distinktion liegt in den Verfeinerungschancen: Zimt, Muskat, Kardamon und Kakao, von braunem Zucker zu schweigen.

Das Interieur ist unauffällig. Schöne, lichtdurchspottete Räume, hohe Fensterfronten, viele Raumteiler, fein getrennt in Raucher- und Nichtraucherbereich. Die Bedienung ist multilingual; gerade am touristisch wichtigsten Punkt der Hauptstadt kommt es darauf an, auch das radegebrochenste Englisch auf das Wesentliche hin zu verstehen. Das schaffen die Balzac-Mitarbeiter locker: Kein Wunder, dass der Laden immer gut gefüllt ist, ohne allzu voll gepackt zu wirken.

Selbstverständlich soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Kaffee im Café Einstein oder im Barcomi’s besser schmeckt; Balzac, die Firma, wirbt mit dem Biosiegel, es war keines zu sehen: Gelegentlich haben die Gebräue etwas ganz und gar Rohes und Undelikates. Aber der O-Saft schmeckt wunderbar; der Kuchen, die Sandwiches, die Bagels sind Konfektionsware, dafür wirbt der Laden auch nicht mit „hausgemacht“ oder „frisch“ (als ob Letzteres sich nicht ohnehin von selbst verstünde). Das Balzac ist insofern empfehlenswert für alle, die eine beiläufige Atmosphäre wünschen.

BALZAC, Friedrichstr. 207, U-Bahn Kochstraße, Mo–Fr 7–20 Uhr, Sa & So 8–20 Uhr, www.balzaccoffee.de; Kaffees ab 1,50 Euro, Kuchen ab 1,45 Euro; Gewürze, Zucker und Leitungswasser gratis