Kick it like Rüttgers

Etwas Unterhaltung, kaum Erkenntnis: „3 Tage Leben“ (ZDF, 19.30 Uhr) unterzieht Politiker einem Alltagstest

Wenn die eine Weisheit stimmt, die Marc Conrad der Fernsehwelt noch hinter die Ohren schrieb, bevor er als RTL-Chef gefeuert wurde, wenn also Politik der neue Sex ist, dann regen sich beim ZDF in letzter Zeit deutlich Frühlingsgefühle. Mit den verschiedensten Stilmitteln und Formaten, vom neuartigen Doku-Fiction-Talk „Tag X“ bis zur Parteifamilienserie „Kanzleramt“ versucht der Mainzer Sender zurzeit, das System Politik für seine Zuschauer aufzubereiten. Das Ziel scheint klar zu sein: Transparenz schaffen, Zusammenhänge erklären, Inhalte vermitteln. Und natürlich sind das alles Aufgaben, die ein öffentlich-rechtlicher Sender nicht ernst genug nehmen kann. Schaut man sich aber Sendungen wie die neue Doku-Soap „3 Tage Leben – Der Alltagstest für Politiker“ an, muss man sich fragen, ob beim ZDF nicht vielleicht die Hormone durchgedreht sind.

Zwei Fragen stehen am Anfang von „3 Tage Leben“: Haben Politiker die Bodenhaftung verloren? Kennen sie die Lebensumstände ihrer Wählerinnen und Wähler überhaupt noch? Der ZDF-Alltagstest will die geprüften Politiker Jürgen Rüttgers (CDU), Antje Hermenau (Grüne) und Ute Vogt (SPD) zum lebenspraktischen Offenbarungseid bringen. In ihnen völlig fremden Familien und Berufen sollen sie drei Tage beweisen, dass sie jederzeit das Leben ihrer Wähler meistern können. Doch mit irgendeiner politischen Erkenntnis aus dieser Operation am lebenden Volk wurde nichts: „3 Tage Leben“ ist eine semiamüsante Doku-Soap geworden, die – wie etwa der RTL2-„Frauentausch“ – ihren Unterhaltungswert vor allem aus der Versuchsanordnung bezieht, die Protagonisten in ungewohnte Lebensumstände zu befördern.

In der ersten Folge kickt Jürgen Rüttgers, Vorsitzender der NRW-CDU, fröhlich einen Tennisball über den Parkplatz vorm Lidl. Er ist in Begleitung der fünf Kinder von Anke Post. Für drei Tage soll er die allein erziehende Hauptschullehrerin als Familienoberhaupt ersetzen. Wie er sich bei so vielen Kindern mit so wenig Geld schlägt – das ist der „Alltagstest“, dem sich der Landespolitiker unterzieht. Oder böse gesagt: der Wahlwerbespot, den das Zweite Rüttgers spendiert. Denn dass das ZDF dem CDU-Spitzenkandidaten knapp zwei Monate vor den Landtagswahlen in NRW die Möglichkeit bietet, sich als patenter Familien- und damit eigentlich auch als Landesvater zu präsentieren, ist mehr als fragwürdig. „Wir wollten das Format schon deutlich früher zeigen“, sagt Bettina Schausten, Leiterin der Hauptredaktion Innenpolitik, dazu.

Nun ist es doch Frühling geworden. Und beim ZDF wehrt man sich wohl nicht gegen die entsprechenden Gefühle. HPI