Unmut zwischen Brüssel und Ankara

Die EU bemängelt ein Nachlassen der Reformbemühungen der türkischen Regierung. Die wiederum ist sauer wegender Zypern-Politik Brüssels. Und vor dem Besuch der EU-Troika verprügelt die Polizei friedliche Demonstranten in Istanbul

VON JÜRGEN GOTTSCHLICH

Der gestrige Besuch der EU-Troika in Ankara stand unter einem schlechten Stern. Wechselseitige Enttäuschungen in Brüssel und der Türkei und ein brutaler Polizeieinsatz gegen friedliche Demonstranten in Istanbul direkt am Tag vor der EU-Visite sorgten für eine gespannte Stimmung bei den Gesprächen.

Bereits im Vorfeld des Besuchs hatte der EU-Repräsentant in Ankara, Hans Jörg Kretschmer, sich in einem Interview darüber beklagt, dass die Reformbemühungen der türkischen Regierung nach der EU-Entscheidung für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen spürbar nachgelassen hätten. So sei parlamentarisch kein weiterer Schritt zur Annäherung von türkischem Recht an EU-Recht erfolgt. Auch bei der Umsetzung bereits erlassener Gesetze zur Verbesserung der Situation von Minderheiten und der Gleichstellung von Frauen sei nicht viel passiert. Intern wird auch beklagt, dass die türkische Regierung noch keinen Verhandlungsleiter ernannt hat, der ab Oktober die Gespräche in Brüssel führen soll.

Umgekehrt ist man in Ankara frustriert, dass die EU sich, nach einer kurzen Phase des Protestes, mittlerweile im Streit um die Zukunft auf Zypern angeblich völlig hinter die griechische Seite stellt, obwohl die Griechen im April letzten Jahres durch ihr Nein zum Annan-Plan eine politische Lösung auf der Insel verhindert haben. Entgegen ersten Versprechen hat die EU bis heute das Handelsembargo gegen die türkischen Nordzyprioten nicht gelockert und auch die versprochene finanzielle Unterstützung ist nicht eingetroffen. Stattdessen drängt Brüssel nun darauf, dass Ankara die griechische Regierung der Republik Zypern völkerrechtlich anerkennt.

Mittel zum Zweck ist das so genannte Ankara-Protoll, durch dessen Unterzeichnung die Türkei die Zollunion mit der EU auf die zehn neuen EU-Staaten – also auch Zypern – ausdehnen soll. Bei einem Treffen zwischen Außenminister Gül und dem EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn bestätigte Gül zwar grundsätzlich die Bereitschaft, das Protokoll zu unterzeichnen, bestand aber darauf, dass schriftlich festgehalten wird, dass damit keine völkerrechtliche Anerkennung der Regierung Papadopoulos verbunden ist. Da man dafür noch keine diplomatische Formel gefunden hat, verzögert sich die Unterzeichnung, die eigentlich für März angekündigt war, offenbar erneut und stellt damit bereits den Zeitplan für die Aufnahme der Beitrittsgespräche Anfang Oktober in Frage.

Zu der Verstimmung zwischen der EU-Delegation und der türkischen Regierung trugen dann noch aktuelle Fernsehbilder vom Sonntag bei, die zeigten, wie die Polizei eine Demonstration von 500 Leuten brutal auseinander trieb und rund 60 Personen vorläufig festnahm. Während der derzeitige EU-Außenministerratsvorsitzende, Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, sich schockiert darüber zeigte, „wie die Polizei Frauen und junge Leute niederknüppelt“, verwiesen türkische Offizielle darauf, es habe sich um eine illegale Demonstration PKK-naher Kräfte gehandelt. Die Teilnehmer hätten kurdische Fahnen geschwenkt und Freiheit für den inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan gefordert. Deshalb hätte die Polizei einschreiten müssen. Gül bedauerte gestern die Vorfälle während der „illegalen“ Kundgebung zum Weltfrauentag und kündigte eine Untersuchung an.

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