In einem denkwürdigen Sommer

FAST SCHON SURREALISMUS Von alten Tanten und sauberen Bären: Die Zeichner Stian Hole und Emilio Urberuaga poetisieren ganz wunderbar den Alltag

VON KATHARINA GRANZIN

Garman ist sechs Jahre alt, und er hat ein bisschen Angst. Wenn der Sommer vorbei ist, soll er nämlich in die Schule gehen. Da dieser Sommer aber genau deswegen ein besonders denkwürdiger ist, hat der norwegische Grafiker und Kinderbuchautor Stian Hole ihn in besonders sehenswürdige Bilder gebannt.

Holes Bücher sind Gesamtkunstwerke, die aus der gängigen Bilderbuchproduktion – zumindest dem Teil, der in Übersetzungen auf den deutschen Markt gelangt – aufgrund ihrer Eigenartigkeit herausragen. Auf Kinder wirken sie beim ersten Hinsehen sogar ein wenig erschreckend. „Komische Bilder!“ sagen sie und blättern in einer Mischung aus Faszination und Irritation das Buch schnell durch – um dann aber, beim Vorlesen, gebannt mit den Augen an diesen Bildern zu hängen, die erst zusammen mit dem Text ihre freundliche Poesie in Gänze entfalten.

Hole, der mit dem Computer arbeitet, benutzt eine Collagetechnik, die an John Heartfield und die Animationsfilme von Monty Python denken lässt. Hyper- und surrealistische Elemente verwandeln die Welt vor unseren Augen in etwas Fremdartiges; auf kleinen Körpern sitzen zu große Köpfe, mit einer winzigen Gießkanne werden riesengroße Blumen gegossen, und wenn Garman sich fragt, was es bedeutet, „Schmetterlinge im Bauch“ zu haben, sieht man ein Röntgenbild seines Rumpfes, in dem bunte Falter umherflattern.

Die Geschichte derweil handelt eigentlich nur davon, dass drei alte Tanten zu Besuch kommen, Garman eine Pudelmütze schenken und wieder davonfahren. Doch über diesem sparsamen Handlungsgerüst schwebt, leicht wie ein Sommerwölkchen, ein philosophischer Diskurs. Während Garman sich grämt, dass bei ihm noch kein einziger Zahn wackelt, hat seine Mutter Angst vor dem Zahnarzt. Die Tanten wiederum haben schon falsche Zähne, die in Wassergläsern schwimmen, und Angst davor, bald zum Gehen einen „Rollator“ zu brauchen. Garman begreift, was Älterwerden bedeutet, und dass das Leben nicht unendlich ist. Irgendwann beerdigt er einen toten Spatz.

Das wirklich Großartige an diesem Buch ist, dass sich als Summe seiner Elemente, Bild und Text zusammen, etwas anderes ergibt, als sich aus der Wirkung jedes einzelnen Bestandteils erwarten ließe. So wie die Bilder in ihrem surrealistischen Duktus auf den ersten Blick unheimlich wirken können, so hat auch der Text mit seinem Fokus auf Ängste, das Alter und den Tod etwas Dunkles an sich. Doch in der Summe vereinen sie sich zu einer heiteren, humorvollen „Das Leben ist schön“-Haltung. Und diese komischen Bilder, die Stian Hole aus seinem Computer gezaubert hat, sind solche, die hängen bleiben.

Ein freundliches Dämmerlicht herrscht dagegen in der Erzählung „Rede des Bären“ von Julio Cortázar, die der Zeichner Emilio Urberuaga kongenial bebildert hat. Auch Cortázar war ein Meister darin, sich das Surreale zur Poetisierung des Realen dienstbar zu machen. „Ich bin der Bär aus den Leitungsrohren im Haus“, hebt die Kurzerzählung an, in Ich-Perspektive berichtend von einem Bären, der in den Leitungsrohren eines Mietshauses unterwegs ist, als eine Art guter nächtlicher Geist der städtischen Zivilisation. Rohre sind etwas, das viele Kinder, vor allem Jungen, lieben, und für sie ist das Naheliegendste von der Welt, dass ein Bär darin wohnen sollte, wenn er erklärt: „Ich glaube, man hat mich gern, denn mein Fell hält die Leitungen sauber.“

Die großformatigen, dämmerungsfarbigen Bilder Emilio Urberuagas ergänzen dabei nicht nur die Erzählung, sondern erzählen sie auf ihre Weise neu, so dass auch Noch-nicht-Schulkinder dieses Buch schon ganz allein lesen können – als Bildergeschichte.

■ Stian Hole: „Garmans Sommer“. Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger. Hanser, München 2009. 48 S., 14,90 €

■ Julio Cortázar, Emilio Urberuaga: „Rede des Bären“. Aus dem Spanischen von Wolfgang Promies. Bajazzo, Zürich 2009. 32 S., 14,90 €