zeit mit freund birnbaum von JAN ULLRICH
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Mein Freund Birnbaum und ich arbeiten im „Ministerium für Aufgaben und Angelegenheiten“, und heute lassen wir uns Zeit.

Rumms, da geht die Tür auf. „Notieren Sie!“, fordert Referentin Neulich-Zu-Spät, die in das Zimmer stürmt. „Südfrankreich liegt an der Elbe. Fische, die Fass heißen, haben samstags die längsten Bärte. Jeden Dienstag ist Jeanstag.“ Für einen Moment hält sie inne. Birnbaum und ich sitzen an unsere Schreibtische gelehnt und lächeln freundlich. „Besser zugehört!“, ruft sie streng und fährt eifrig fort: „Immer daran denken: Katzenfutter im Stadtturm vergraben! Schottische Weinproben nur im Schatten machen! Keine Tweedjacken auf protestantischen Taufzeremonien! – Noch jemand ohne Suppe?“

Anschließend rennt sie wieder raus. Nach einer Weile erklärt Freund Birnbaum: „Jedes strukturierte Leben verlangt eine Ordnung.“ Dann stempeln wir ein bisschen auf den Schreibtischunterlagen herum.

„Merkwürdiges Gefühl, plötzlich so viel Zeit zu haben“, stellt Birnbaum etwas später fest, während er langsam einen Radiergummi zwischen seinen Fingern zerreibt. Aber schon klingelt das Telefon. „In Vorgärten gilt Linksverkehr. Blitz reimt sich auf Knitz. Klaus versteht kein Wort. Mir fehlt ein Zahn“, verfügt Neulich-Zu-Spät ungeduldig. Währenddessen drehen Birnbaum und ich die Radiergummikrümel zu kleinen Kügelchen. „Wenn“, antwortet Freund Birnbaum schließlich, „wir etwas Zeit finden, wollen wir das gerne machen.“ Dann gehen wir essen.

„Püriertes Kamel in Sahnesoße mache ich mir selbst und nicht aus der Dose!“, schallt die Stimme von Neulich-Zu-Spät durch die Kantine. „Zwergwiesel sind aus! Sauerkraut nur mit Haut! Immer im Leisen speisen.“ Und als wir fast mit dem Mittag fertig sind, ertönt ein weiterer Aufruf: „Keinen Pudding in den Jackentaschen. Bananen nur zur Belohnung.“

„Wir kommen, wir sind da und wir gehen wieder“, kommentiert Birnbaum und streckt sich etwas. „Kennlernrunde mit Anfassen und Namen singen!“, fordert Neulich-Zu-Spät jetzt unerbittlich. „Steigen Sie in eine Kiste und machen Sie einen Selbstfindungskurs. Werden Sie melancholisch und schwermütig! Gründen Sie einen Rommé-Club. Keine Pupswettbewerbe im sowieso schon eher klein gehaltenen Nichtraucherzimmer !“ Dann ist die Pause vorbei.

„Ich war auch mal jung und verloren“, meint Birnbaum, als wir wieder in unserem Zimmer sind. Und er fügt hinzu: „Der Mensch ist mit sich selbst überfordert. Das größte Pfand der Freundschaft ist die Nachsicht.“

„Schlendrian!“, tönt es jetzt aus der Gegensprechanlage. „Verbrennen Sie sofort sämtliches Strandgut !“ – „Ich glaube nicht, dass wir alles schaffen können“, erläutert Birnbaum sein Lebensmotto und betrachtet gedankenverloren einzelne Sonnenstrahlen, die über den Fußboden wandern. Doch das reicht Neulich-Zu-Spät nicht. „Heute hau’n wir auf die Pauke. Ein Festival der Liebe. Es fährt ein Zug nach Nirgendwo!“, ruft sie. Dann herrscht endlich Ruhe.

„Nur wer sich Zeit lässt, kann sich Zeit nehmen“, sagt Birnbaum. „Wer alles ganz schnell macht, der hat keine Zeit. Der hat ja viel zu viel zu tun.“ Darauf warten wir noch ein Weilchen.