Zwischen Ruhm und Alltag

Im letzten Jahr gewannen Liv Grete und Raphael Poirée Rennen in Serie, doch nicht nur bei den Weltmeisterschaften läuft es diese Saison längst nicht so gut für die Paradefamilie des Biathlon

AUS HOCHFILZEN JOACHIM MÖLTER

Emma will jetzt mit dem Papa spielen, aber der hat keine Zeit. Raphael Poirée muss zu einem Fototermin, er muss Interviews geben, und er ist überhaupt sehr beschäftigt in diesen Tagen, in denen die Biathlon-Weltmeisterschaften ausgetragen werden in dem Tiroler Ort Hochfilzen. Schließlich hat der Franzose noch zwei Titel zu verteidigen, im 20-Kilometer-Einzelrennen am heutigen Mittwoch sowie beim Massenstart über 15 Kilometer am Sonntag; den im Sprint hat er schon verloren an den Norweger Ole Einar Björndalen. „Ich komme später“, vertröstet Poirée seine fast zwei Jahre alte Tochter und gibt sie wieder in die Obhut ihres Kindermädchens. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie hart das alles ist“, sagt Poirée: „Es war ein sehr schwieriges Jahr für meine Frau und mich.“

Seine Frau heißt Liv Grete, stammt aus Norwegen und war bis zu diesem Winter eine der weltbesten Biathletinnen. Vor einem Jahr waren die Poirées sogar das Traumpaar des Wintersports: Bei den Weltmeisterschaften in Oberhof gewannen sie sieben von zehn Titeln, dazu zwei weitere Medaillen durch Raphael; am Ende der Saison kamen die Trophäen für den Gewinn des Gesamt-Weltcups hinzu. Und dass die kleine Emma immer dabei war, mit einer Cousine von Liv Grete Poirée als Kindermädchen, komplettierte das Familienglück. Aber in diesem Winter sind die Poirées eingeholt worden von den Folgen des Ruhms und dem Alltag des Familienlebens.

„Nach Oberhof war ich erst einmal erschöpft“, sagt Raphael Poirée, „und Liv Grete war es auch.“ Mit den Erfolgen kamen ja die Verpflichtungen: ein Auftritt da, ein anderer dort, Raphael Poirée sollte neue Ski entwickeln für seine Firma Rossignol, er kümmerte sich um Sponsoren, auch für seinen Verband. In Frankreich ist Biathlon ja nur ein Randsport und längst nicht so populär wie in Norwegen. Dort verfügen die Athleten über schier unermessliche Ressourcen, weiß Poirée, weil er ja in die Heimat seiner Frau gezogen ist: „In Frankreich sind wir Amateure. Wir gehen ins Rennen und hoffen, dass wir ein gutes Wachs haben für die Ski. In Norwegen schicken sie drei Jahre vor Olympia Wissenschaftler in die Berge, die den Schnee untersuchen und das beste Wachs dafür mixen.“

Das beste Wachs hilft aber nichts, wenn die Athleten nicht in Form sind, und Liv Grete Poirée kam in diesem Winter überhaupt nicht auf ihr gewohntes Niveau. Sie sei von Beginn der Vorbereitung an müde gewesen und immer müder geworden, erzählt ihr Mann. „Als Sportler denkt man ja immer, das wird schon wieder“, sagt Raphael Poirée. Aber seine Frau fiel immer weiter zurück, im WM-Sprint von Hochfilzen am vorigen Samstag sogar auf den 37. Platz. Erst dann entdeckten die Ärzte einen hartnäckigen Virus als Ursache der körperlichen Schwäche: Liv Grete Poirée wird bei der WM kein Einzelrennen mehr laufen, allenfalls noch die Staffel am Freitag. „Es ist gut zu wissen, woran es gelegen hat“, sagt Raphael Poirée, und dass seiner Frau nun klar ist, „dass sie jetzt schon an nächstes Jahr denken muss“.

Im nächsten Winter finden die Olympischen Winterspiele in Turin statt, ein Olympiasieg fehlt beiden noch. Aber dafür müssen sie einiges ändern, das haben die Poirées gelernt aus diesem Winter. Die ständige Mitnahme von Tochter Emma erwies sich jedenfalls nicht mehr als leistungsfördernd, gibt Raphael Poirée zu: „Sie ist kein Baby mehr, sondern ein kleines Mädchen. Sie fordert jetzt mehr Aufmerksamkeit.“ Während des Weltcups in Ruhpolding bekam Emma so hohes Fieber, dass Liv Grete mit ihr ins nächste Krankenhaus fuhr und die Rennen sausen ließ. Manchmal habe er schon ein schlechtes Gewissen, wenn seine Frau ihre sportlichen Ambitionen für Emma opfere und er derweil wettkämpft, sagt Raphael Poirée: „Wenn meine Frau nicht gut ist, bin ich auch nicht gut. Und wenn meine Tochter krank ist, fühle ich mich auch schlecht.“

Sie müssten eine neue Balance finden, bilanziert Raphael Poirée diese Saison: „Wir denken daran, Emma nächstes Jahr öfter zu Hause bei den Großeltern zu lassen.“ Nach Olympia wollen die Poirées aber mindestens noch ein Kind haben, sagt er: „Damit Emma nicht allein aufwächst.“ Sie braucht ja jemanden zum Spielen.