Hart, aber Raab

Die Gewinner des Grimme-Preises 2005 stehen fest – die taz gratuliert und kommentiert eine Auswahl der Sieger beim Wettbewerb um die wichtigste Fernseh-Auszeichnung Deutschlands

Stefan Raab

für die Entdeckung und Förderung von Musiktalenten durch „SSDSGPS – Ein Lied für Istanbul“ (Pro7/Kategorie: „Spezial“)

Was ist das genau? Musikshowreihe und „TV total“-Ableger. Ursprünglich als Persiflage auf die bislang Grimme-Preis-lose RTL-Erfolgsshow „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) entstanden, machte SSDSGPS (Vollname: „Stefan sucht den Super-Grand-Prix-Star – Ein Lied für Istanbul“) unbekannte Nachwuchssänger und -sängerinnen einem Millionenpublikum bekannt, mit dem Ziel, den Sieger des Wettstreits beim deutschen Vorentscheid des „Eurovision Song Contests“ antreten (und gewinnen!) zu lassen.

Und? Preis verdient? Immerhin zeigte SSDSGPS, dass Casting-Shows nicht peinlich sein müssen – und dass die musikalische Abendunterhaltungshow auch im 21. Jahrhundert funktionieren kann, wenn sie sich statt auf Hype und Schlagzeilen betont entspannt auf Schlichtheit und Talent besinnt (bzw. diesen Eindruck zu erwecken versteht). Die Frage, ob es Raabs Schuld war, dass Gewinner Max Mutzke in Istanbul nicht reüssieren konnte, ist genau so irrelevant wie Thomas Anders als Juror.

Weitere Gewinner in der Kategorie „Spezial“: Gert Scobel (Redaktion und Moderation) für die Sendereihe „delta“ und das Kulturmagazin „Kulturzeit“ (3sat/ZDF). Beate Langmaack (Gestaltung und Weiterentwicklung) sowie Henry Hübchen und Uwe Steimle (Hauptdarsteller) für „Polizeiruf 110“ (ARD/ NRD).

CSCH

Maggie Peren

für Drehbuch zu und Darstellung in dem Film „Kiss and Run“ (ZDF/Kategorie „Fiktion & Unterhaltung“) – gemeinsam mit Ken Duken (Darstellung) und Annette Ernst (Regie)

Was ist das genau? Film über die Nöte einer 25-Jährigen, die nicht nerven, sondern treffen: Eine Quarterlife-Crisis, die man sich zur Abwechslung mal gern anschaut.

Und? Preis verdient? Außer Woody Allen schreibt sich wohl niemand so interessante Figuren auf den eigenen Leib wie Maggie Peren. Vielleicht tut sie das aus Not, bestimmt aber aus Können.

Weitere Gewinner in der Kategorie „Fiktion & Unterhaltung“: Nina Hoss, Benno Führmann (Darstellung), Christian Petzold (Buch/Regie) für „Wolfsburg“ (ZDF/Arte); Franz Xaver Bogner (Buch/Regie) für „München 7“ (BR); Andrea Sawatzki, Jörg Schüttauf (Darstellung), Stephan Falk (Buch), Thomas Freundner (Buch/Regie) für „Tatort: Herzversagen“ (ARD/HR); Bernadette Heerwagen, René Ifrah (Darstellung), Harald Göckeritz (Buch), Miguel Alexandre (Regie) für „Grüße aus Kaschmir“ (ARD/BR) HPI

Olli Dittrich

für Idee zu und Darstellung in „Dittsche – Das wirklich wahre Leben“ (WDR/Kategorie: „Fiktion & Unterhaltung“)

Was ist das genau? Live-Stegreif-Comedy. Olli Dietrich steht als lächerliche Karikatur eines Alkoholikers im gestreiften Bademantel an der „Eppendorfer Grill-Station“ und spricht mit dem Imbissbudenbetreiber Ingo über aktuelle Themen aus Politik, Sport, Zeitgeschichte, Boulevard und Bild-Zeitung.

Und? Preis verdient? Jedes Gespräch, jede Sendung ist ein Ringen mit dem eigenen Scheitern, jede Pointe ein Wagnis. Doch anders als in weitaus populäreren Stegreif-Imitaten wie „Schillerstraße“ (Sat.1) und „Frei Schnauze“ (RTL) ist das Ergebnis im besten Fall nicht Gaga, sondern Dada. Und so preiswert! Da lacht die Grimme-Jury und übersieht im Amüsement, dass Olli Dietrichs antiintellektuelle Witzischkeit dem echten Stammtisch oft viel näher ist, als es das Format wahrhaben will. Unterschichtenfernsehen jedenfalls sieht anders aus.

Weitere Gewinner in der Kategorie „Fiktion & Unterhaltung: siehe Maggie Peren CSCH

Frank Plasberg

für die Moderation von „Hart aber fair“ (WDR/Kategorie: „Information & Kultur“) – gemeinsam mit Stefan Wirtz (Redaktion) und Jürgen Schulte (Produktion)

Was ist das genau? Ein Polittalk ohne „Polit“ und „Talk“, sondern mit Politik und Gesprächen. Hat das Einspielerfilmchen als Eingriff in und Steuerung von Diskussionsrunden etabliert. Soll wahlweise vor dem Sprung ins ARD-Hauptprogramm oder der Streuung in andere Dritte Programme stehen. Hat bereits ARD-interne Generika (u. a. „Paroli!“/NDR) gezeitigt.

Und? Preis verdient? Plasberg hat kein starres Paritätsschema im Kopf, nachdem er seine Gäste der Reihe und der Uhr nach zu Wort kommen lässt – sondern einfach nur Fragen. Er überlegt während des Moderierens, reflektiert beim eigenen Sprechen und nimmt so Gäste, Themen und auch Zuschauer so ernst, wie es eigentlich jede halbwegs anspruchsvolle Talkshow tun sollte. Mittwochs jeweils 90 harte, aber faire Minuten – wir schauen mit Interesse und tatsächlich auch Erkenntnis.

Weitere Gewinner in der Kategorie „Information & Kultur“: Britta Wauer, Sissi Hüetlin (Buch/Regie) für „Die Rapaports – Unsere drei Leben“ (ZDF/Arte); Oliver Axer, Susanne Benze (Buch/Regie), C. Cay Wesnigk (Produktion) für „Hitlers Hitparade“ (ZDF/Arte); Karsten Laske (für das Regie- und Autorenteam), Gunnar Dedio (Produktion) für „Damals in der DDR“ (ARD/MDR/WDR); Ciro Cappellari (Buch/Regie/Kamera) für „Abdullah Ibrahim“ (ZDF/Arte) HPI