der kommentar
: Im Zweifelsfall irre

Die türkische Zeitung „Hürriyet“ greift die Anwältin Seyran Ates nach taz-Interview an: Ein Signal von Ertappten?

Eine knappe Woche hat es gedauert, dann hatte Hürriyet, Zentralorgan der türkischen Community hierzulande, eine Antwort parat – und zwar auf die Kritik der türkischstämmigen Deutschen Seyran Ates. Die Berliner Anwältin hatte in der taz vom 28. Februar unter dem Titel „Multikulti ist verantwortungslos“ die Bequemlichkeiten der teutonischen Gutmenschenszene attackiert und überdies, so nahm es Hürriyet wahr, „die türkischen Männer als Sklavenhalter“ dargestellt.

Richtig an dieser Lesart ist, dass Ates tatsächlich Zwangsehen und Gewalt gegen Frauen in der muslimischen Migrantenszene beim Namen nannte und sich auch nicht darum scherte, ob ihre Skizzen einem deutschen Rassismus gegen Migranten Vorschub leisten könnten.

„Diese Anwältin ist irre geworden“, heißt es in Hürriyet – eine Kritikerin in die Nähe des Durchgeknallten bringen: Das ist ein klassisches Muster von Diffamierung. Das Blatt zitiert zudem Rapperin Aziza A., die als „Kronzeugin“ lapidar meinte: „Ich glaube, sie hat Depressionen.“ Eine üble Attacke: Wäre Seyran Ates tatsächlich krank, träfe der Verdacht der Durchgedrehtheit zu, nicht irgendwie unzurechnungsfähig, ihre Kritik also gaga?

In Wirklichkeit erzählt die hysterische Aufregung zwischen den Zeilen nur: Ja, die Anwältin liegt richtig; ja, wir fühlen uns ertappt, wollen aber die Multikultiordnung nicht stören– und geht zum Gegenangriff über. Ein aggressiver Defensivreflex: Ates selbst fürchtet, dass Schlagzeilen wie die der Hürriyet Gewalttäter stimuliert. JAF