ZE ROBERTO, ERFINDER
: Grätsche als Kunstform

■ heißt eigentlich José Roberto da Silva Júnior, ist aber in Münchner Augen schon ein Fußball-Senior. Foto: dpa

Kaum ist Sportchef Dietmar Beiersdorfer aus dem Club geekelt, verpflichtet der Hamburger SV einen 35 Jahre alten Spieler und stattet ihn mit einem Zweijahresvertrag aus, mit bis zu vier Millionen Euro Jahresgage top-dotiert. Das klingt nach dem Geschäft eines Anfängers, der die Gesetze des Marktes nicht kennt – oder einfach ignoriert.

Doch HSV-Boss Bernd Hoffmann ist kein Frischling. Und Zé Roberto ist kein Neueinkauf, der in normalen Kategorien wie Alter und Nutzen zu bewerten ist. Seine innere Uhr tickt anders. Gerade erst hat er seine beste Spielzeit im Trikot des FC Bayern bestritten und wurde von der Vereinigung der Vertragsfußballspieler zum Strategen des Jahres gewählt. Fast scheint Zé Roberto rückwärts zu altern. Das hat aber in erster Linie mit einer Transformation seines Spiels zu tun: In seiner ersten Zeit in München war Zé Roberto ein Seitenlinienartist. Seit seiner Rückkehr bestimmte er den Herzschlag des Münchner Spiels. Als Pendler zwischen Abwehr und Angriff, dessen Kunst in der Genauigkeit liegt. Für diese Verwandlung brauchte Zé Roberto allerdings erst eine Zwangspause vom FC Bayern. 2006 verließ er München als Opfer des deutschen Sommermärchens. Er musste seine linke Seite für Bastian Schweinsteiger räumen und ging zurück nach Brasilien. Eine Beziehungspause, die zu einer entscheidenden Offenbarung führte:

Während seiner persönlichen Analyse der WM 2006 merkte nun endlich auch Ottmar Hitzfeld, was in Brasilien schon jeder wusste: Dass Zé Roberto auf dem Münchner Flügel verschenkt war. In der Seleção spielte ein ganz anderer Zé Roberto. Einer, der die Spielzüge des Gegners vorauszuahnen schien und die Bälle im Zentrum ansaugte wie eine fehlerhafte Klimaanlage. Als Wasserträger für Kaká und Ronaldinho hatte Zé Roberto die Grätsche als Kunstform kultiviert und die Kampfkraft entwickelt, die einen anderen aus ihm machte. Und ganz nebenbei hatte er, vielleicht ohne es zu wissen, einen modernen Spielertypus erfunden: Kein Sechser mehr, aber auch kein Zehner. Ein schimärenhaftes Wesen irgendwo zwischen Abwehrstratege und Spielmacher.

Nicht zufällig brillierte Zé Roberto, in der Seleção Zerstörer, bei den Bayern Linientänzer, beim FC Santos schließlich als Regisseur. Er hatte sich endgültig von den Fesseln einer festen taktischen Zuordnung gelöst. Und Hitzfeld hatte verstanden. Er holte den gereiften Künstler zurück und stellte ihn ins Zentrum. Doch obwohl München zwei Jahre lang den neuen Zé Roberto bewundern durfte, verweigerte Uli Hoeneß dem sensiblen Brasilianer die Vertragsverlängerung um zwei Jahre. Begründung: das Alter, natürlich.

Der HSV erfüllte ihm nun diesen Wunsch. Wohl auch in der Hoffnung, dass Zé Roberto weiterhin rückwärts altert.