Dem Imam mal widersprechen

Das Klischee von der Kopftuchträgerin beherrscht den hiesigen Blick auf Musliminnen. Dabei sind deren Lebenswelten vielfältig, wie eine Diskussion im WDR-Funkhaus zeigt

KÖLN taz ■ Das deutsche Bild von Muslimen ist von Stereotypen geprägt: Sie beten fünf Mal am Tag, trinken keinen Alkohol, fasten im Ramadan, zwingen ihre Frauen unters Kopftuch und haben mit der westlichen Kultur nichts am Hut. Vorstellungen dieser Art haben mit dem Alltag der überwiegenden Mehrheit der Muslime zwar nichts zu tun, so die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur. Doch die daraus resultierende Einseitigkeit der Debatten könnte ein herber Rückschlag für die Integration der Muslime in Deutschland sein. Denn so wie Amirpur fühlten sich viele „zunehmend vor den Kopf gestoßen angesichts der Arroganz und Unkenntnis, mit der über unsere Religion geurteilt wird“.

Mit ihrem Plädoyer für einen differenzierten Blick eröffnete die in Köln geborene Deutsch-Iranerin Amirpur am Dienstag Abend das WDR-Symposion „Die muslimische Frau in Medien und Gesellschaft“ im Funkhaus am Wallraffplatz. Ihre Darstellung der Muslime als mehrheitlich liberal gesinnte Bürger, die samt ihrer Religion längst im Westen angekommen sind, blieb allerdings nicht unwidersprochen. „Diesen modernen Islam erlebe ich höchst selten“, erklärte die Buchautorin Serap Cileli in der anschließenden Gesprächsrunde. Die in der Türkei geborene Mutter von drei Kindern kam mit acht Jahren nach Deutschland, wurde jedoch mit 15 zwangsverheiratet und in die Türkei zurückgeschickt. Nach neun Jahren floh sie 1991 von ihrer Familie nach Deutschland in ein Frauenhaus. Heute hilft Cileli anderen muslimischen Frauen und Mädchen, die von Zwangsheirat bedroht sind.

Dieses Schicksal bewegte auch Cilelis Gesprächspartnerin, die Pädagogin und stellvertretende Vorsitzende des Kölner Zentrums für islamische Frauenforschung und Frauenförderung (ZIF), Rabia Müller. „Es ist ungeheuerlich, was Ihnen im Namen des Islam passiert ist.“ Müller konvertierte als getaufte Katholikin vor 28 Jahren zum Islam. Nach ihrer Auffassung ist Geschlechtergerechtigkeit – und sogar ein feministischer Blick – grundsätzlich mit dem Islam vereinbar. Diesen explizit weiblichen Zugang zum Islam versucht Müller in „Selbstbehauptungskursen“ an junge Musliminnen weiterzugeben, „damit die Frauen in der Moschee aufstehen und dem Imam Widerworte geben“. Denn die Kopftuch tragende Theologin gab in der Diskussion durchaus zu, dass der hier gelebte Islam stark von den patriarchalischen Traditionen der migrantischen Herkunftsländer und den Doktrinen der „Bartträger“ geprägt ist.

Trotzdem hat Müller die Hoffnung auf einen innerislamischen Reformprozess nicht aufgegeben. Cileli dagegen ist „nicht so optimistisch, dass der Islam in Deutschland reformierbar ist“. Im Gegenteil: Nach ihrer Erfahrung würden immer mehr Mädchen Kopftücher tragen – und das nur selten freiwillig.

SUSANNE GANNOTT