Mas Armee auf Ski

Die Chinesinnen überraschen bei der Biathlon-Weltmeisterschaft in Hochfilzen mit Medaillen. Prompt stellt sich die Frage, ob da alles mit rechten Dingen zugeht

HOCHFILZEN taz ■ Zweimal hat sich dieses Ritual schon abgespielt bei den Biathlon-Weltmeisterschaften in Hochfilzen, immer dann, wenn eine Chinesin eine Medaille gewonnen hat: Der Moderator fragt, der Übersetzer übersetzt, und was er dann als Antwort übermittelt, lässt die Zuhörer meist ratlos oder verwirrt zurück. Ja, das sei eine Überraschung für sie gewesen, ließ am Sonntag Xianying Liu, 27, mitteilen, die Zweite des Verfolgungsrennens hinter Uschi Disl. Eine Überraschung? Obwohl sie in dieser Saison schon einmal Zweite war im Weltcup und im Gesamtklassement immerhin Siebte ist? Nein, sie sei nicht überrascht, wurde am Dienstag Ribo Sun, 28, zitiert, die Zweite des Einzelrennens hinter Andrea Henkel. Keine Überraschung? Obwohl sie in ihrer Karriere zuvor noch nie unter den besten zehn war und in diesem Winter nicht noch nicht einmal unter den ersten 30? Weil sie ja erst vor zehn Monaten entbunden hat und sich noch in einer Art Aufbautraining befindet, wenn man den Dolmetscher richtig verstanden hat.

Für das Publikum sind die Chinesinnen in jedem Fall die Überraschung dieser WM, für die Experten nicht. Schließlich hat auch die 22 Jahre alte Yingchao Kong unmittelbar vor der WM beim Weltcup in Pokljuka noch mit zwei zweiten Plätzen aufhorchen lassen. „Wir hätten gedacht, dass die schon eher nach vorne kommen“, sagt der deutsche Bundestrainer Uwe Müssiggang. Er glaubt: „Das wird keine Eintagsfliege sein.“ Müssiggang stützt seine Erwartungen freilich allein auf die Beobachtung des Teams beim Training, eine Kommunikation ist ja kaum möglich: Die Sportlerinnen sprechen nur chinesisch, die Betreuer allenfalls gebrochen englisch. Doch was Müssiggang bislang gesehen hat, hat ihn auch ohne weitere Erklärung schwer beeindruckt: „Die arbeiten brutal hart. Die haben eine sehr positive Einstellung zur Belastung.“ Das ist eine sehr positive Umschreibung dafür, wie die Trainer ihre Sportlerinnen schinden: Selbst vor und nach Wettkämpfen müssen sie in den Kraftraum und Gewichte stemmen. „Die Willensqualität, die sie da schulen, ist eine gute Sache“, findet Müssiggang, „aber ob’s von der Trainingsmethodik her Sinn macht, bleibt fraglich. Bei uns kann man das jedenfalls nicht machen.“

Die harten Methoden erinnern frappant an Mas Armee, wie die Garde von chinesischen Läuferinnen genannt wurde, die bei den Leichtathletik-WM 1993 in Stuttgart wie aus dem Nichts auftauchten und mit Weltrekordzeiten auf den längeren Distanzen verblüfften. Ihr Trainer, Ma Junren, erklärte die Schnelligkeit damals mit einem Mittel, das man nun wirklich nicht als Tempo-Elixier vermutet: Schildkrötensuppe. Ma Junren war stets von Doping-Gerüchten umschwirrt, später nahmen ihn die Sportfunktionäre aus China deshalb auch aus der Schusslinie.

Auch bei den Biathletinnen gibt es Zweifel, ob ihr Fortschritt mit rechten Dingen zugeht. Das liegt natürlich zum einen an der mangelhaften Verständigung, die Raum lässt für allerlei Interpretationen und Spekulationen. Zum anderen aber weiß man mittlerweile, dass man in der Regel nur mit Hilfe von Dopingmitteln so hart trainieren kann, wie man es sich von den Chinesinnen erzählt. Aber vielleicht haben die Funktionäre aus den Millionen junger Frauen ihres Landes ja tatsächlich die 20 strapazier- und leidensfähigsten herausgesucht und schulen sie nun mit militärischem Drill. Bei den Biathletinnen aus dem Reich der Mitte trifft der Begriff Armee übrigens tatsächlich ins Schwarze: Alle sind beim Militär, stationiert in einem Ort namens Daliang. JOACHIM MÖLTER