Kiew zeigt Flagge

Der Beitrittswunsch ist die eine Seite, die realistische Chance die andere – das weiß die ukrainische Regierung

BERLIN taz ■ Sich der Europäischen Union als neuer Partner mit der Option auf mehr zu empfehlen – das ist eines der Hauptziele des Deutschlandbesuches des ukrainischen Staatspräsidenten Wiktor Juschtschenko. Doch die Anfangseuphorie der siegreichen orangen Revolutionäre in Kiew, die einige sogar von einem baldigen Beitritt zur Europäischen Union träumen ließ, ist mittlerweile einem gesunden Realismus gewichen.

„Unsere Normen und Standards müssen erhöht und denen der Europäischen Union angepasst werden. Was die europäische Integration angeht, da hängt fast alles von uns ab, aber wir haben den politischen Willen dazu“, sagte Juschtschenko am Dienstagnachmittag vor Journalisten in Berlin.

Mit Juschtschenkos Worten von der „europäischen Integration“ ist der Wunsch der Ukraine, der EU beizutreten, klar umschrieben. Diesen immer wieder zu formulieren, darauf kommt es Kiew an. Jedoch haben die politisch Verantwortlichen in der Ukraine auch begriffen, dass ein EU-Beitritt des Landes derzeit in Brüssel kein Thema ist.

Entsprechend abgewogen ist denn auch die Rhetorik, wie beim jüngsten Auftritt des stellvertretenden Regieungschefs Oleg Rybaschuk am 21. Februar in Brüssel zu beobachten war. Anlass war die Unterzeichnung des EU-Aktionsplans für die Ukraine. Der Plan mit einer Laufzeit von drei Jahren und einem Kreditumfang von 220 Millionen Euro sieht etwa den Ausbau der Beziehungen in den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik vor sowie eine Unterstützung der EU für den Reformprozess in der Ukraine.

„Sie haben es in der Ukraine jetzt mit einer verantwortlichen Regierung zu tun, und wenn wir ein Dokument unterschreiben, dann werden wir uns auch daran halten“, sagte Rybaschuk. Wenn die Ukraine beweise, dass sie es ernst meine, sollte sie auch mehr konkrete Antworten erhalten, sagte Rybaschuk. Auf jeden Fall gehe es ihm jetzt erst einmal darum, nicht zu schnell vorzupreschen, um die Beziehungen zur EU nicht zu verderben.

Dass die Ukraine es mit ihrem Streben nach Reformen ernst meint, zeigen unter anderem die Entscheidungen, einige Privatisierungen zu überprüfen und wenn nötig ein neues Bieterverfahren zu eröffnen. Auch der Fall des im Jahre 2000 ermordeten regimekritischen Journalisten Georgi Gongadse steht wieder auf der Tagesordnung. Nach der Verhaftung von drei mutmaßlichen Tätern wurden jetzt auch wieder die Ermittlungen zu den Drahtziehern aufgenommen. Diese sind jedoch erschwert, da einer der Hauptzeugen kurz vor seiner Vernehmung tot aufgefunden worden war.

Auch im sozialen Bereich begibt sch Kiew auf Reformkurs. Die Regierung hat angekündigt, mittelfristig eine Million neuer Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Das sei eine gute Antwort der Ukraine auf die Frage nach dem europäischen Integrationsprozess. Denn wenn die Menschen zu Hause Arbeit fänden, versuchten sie nicht nach Westeuropa zu gelangen, was im Interesse Brüssels liegen müsste, sagte Juschtschenko am Dienstag in Berlin.

An noch etwas anderem sollte Brüssel Interesse haben: einer konstruktiven Rolle der Ukraine bei der Lösung des Konflikts zwischen der Republik Moldau und dem abtrünnigen Landesteil Transnistrien. Diese scheint Kiew – nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer konkreten Annäherung an die EU – jetzt bereit zu sein spielen zu wollen. Eine der wesentlichen Schritte, um Transnistrien an den Verhandlungstisch zu bringen, wäre die Stationierung von moldauisch-ukrainischen Zollposten. Dadurch, so die Hoffnung, könnte der massive Schmuggel von Waffen und Drogen von und nach Tansnistrien eingedämmt werden. BARBARA OERTEL