„Sollen wir sie laufen lassen?“

Ministerin al-Soswa versucht, Scharia und Menschenrechte zu verbinden

taz: Frau al-Soswa, was hat sich im Jemen geändert, seit es ein Ministerium für Menschenrechte gibt?

Amat al-Alim al-Soswa: Wir sind vom eigenen Erfolg überrascht: Sehr viele Leute sind zu uns gekommen, und wir konnten in 85 Prozent der Fälle helfen. Dieses Vertrauen hat uns ermutigt. Denn anfangs waren wir skeptisch, ob sich überhaupt jemand bei uns, einer Regierungseinrichtung, über die Regierung beschweren würde.

Seit den Anschlägen auf die „USS Cole“ im Jahr 2000 und den Öltanker „Limbourg“ 2002 sitzen hunderte Islamisten ohne Anklage in Sicherheitsgefängnissen. Ist das im Sinne der Menschenrechte?

Ich bin mit den illegalen Verhaftungen keineswegs einverstanden, diese Leute müssen so schnell wie möglich vor Gericht gestellt werden. Aber nach dem 11. September 2001 sind Bürgerrechte weltweit eingeschränkt worden; als Land mit einem noch schwachen Menschenrechtsbewusstsein bildet der Jemen da leider keine Ausnahme.

Die meisten der Inhaftierten haben aber gar keine Straftaten begangen …

Nein, aber sie haben öffentlich gesagt, dass sie den Westen bekämpfen wollen und dass jeder, der nicht so denkt wie sie, verfolgt und getötet werden muss. Die Sicherheitsdienste waren in einer schwierigen Position: Sollten sie diese Leute laufen lassen und riskieren, dass sie ihre Drohungen wahr machen?

Im Jemen wird die Todesstrafe über dreihundertmal im Jahr vollstreckt. Wo bleibt da die Einhaltung der Menschenrechte?

Diese Zahl ist stark übertrieben. Wenn ein Todesurteil durch alle Instanzen gegangen ist, muss es vom Präsidenten unterzeichnet werden, und oft unterschreibt er nicht. Aber bei besonders schrecklichen Verbrechen, etwa der Misshandlung und Ermordung von Kindern, halten wir die Todesstrafe für angebracht.

Grundlage der jemenitischen Gesetze ist die Scharia. Wie vertragen sich islamisches Recht und Menschenrechte?

Wir arbeiten daran, internationales Recht in unsere Gesetze einzubinden, ohne ausländische Konzepte zu kopieren. Es gibt Grundsätze, über die sich alle einig sind. Zugleich müssen wir unsere Kultur und religiösen Besonderheiten beachten, damit sich die Leute damit identifizieren können. Der Islam ist dabei kein Hindernis. Probleme entstehen nur aus seiner Interpretation.

Im Jemen sind die meisten Frauen voll verschleiert. Wie beurteilen Sie ihre Lage?

Ich weiß, dass die Verschleierung für viele ein Schock ist. Wir sind umgekehrt geschockt, wenn wir westliche Frauen leicht bekleidet sehen. Beide Seiten tun einander Unrecht, wenn sie nur nach Äußerlichkeiten urteilen. Die Verschleierung bedeutet weder, dass die Frauen keine Rechte haben, noch, dass sie von allem ausgeschlossen sind. In jeder Institution hier arbeiten Frauen. Natürlich sind es viel weniger als im Westen, aber das ist eine Frage der Entwicklung. Unsere Gesetze begünstigen Frauen, aber leider werden die Gesetze aufgrund von Traditionen oft nicht umgesetzt.

Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen als einzige Frau im Kabinett?

Einerseits werde ich erstklassig behandelt, andererseits muss ich ständig beweisen, dass ich eine „Superfrau“ bin. Ich würde gerne ganz normal behandelt werden. Wenn ich einen Fehler mache, wird niemand darin den Fehler eines Ministers sehen, sondern den Fehler einer Frau, die Ministerin ist. Das ist hart. Aber ich sehe das als Herausforderung, um zu beweisen, dass Frauen sehr wohl gute Politik machen können.

INTERVIEW: KRISTIN HELBERG