Zartes Sprießen im Mediengarten

Der Krise folgen die Gründer: Ein Stadtmagazin in Hannover, eine Wochenzeitung in Göttingen und ein neues Hochglanzmagazin versuchen, sich im Norden auf dem Markt zu etablieren

von Kai Schöneberg

Zweimal war Lars Kompa „in der letzten Runde bei Rowohlt“. Aber in seinem 300- Seiten-Roman wird zuerst Edmund Stoiber und dann der Papst erschossen, „da hat der Verlag dann doch abgesagt“, sagt der 33-Jährige. Vielleicht ist das auch gut so, denn nun rangiert er im Impressum als Herausgeber, Chefredakteur, Vertriebschef und Anzeigenleiter. Vor uns liegt die erste Ausgabe von „Stadtkind“, dem neuen Stadtmagazin aus und für Hannover.

Jede Menge Mut, ja vielleicht sogar Todesmut, braucht man schon, im fünften Jahr der Medienkrise ohne Großverlag im Rücken ein völlig neues Objekt auf einen erodierenden Markt zu werfen – vor allem, wenn man noch nie als Herausgeber, Chefredakteur, Vertriebschef oder Anzeigenleiter gearbeitet hat. Kompa hat den Mut. Und er ist nicht allein. Trotz Schrumpfkur am deutschen Anzeigenmarkt blühen derzeit mancherorts neue Zeitungspflänzchen: In und um Berlin haben sich Deutsch, Cicero oder Monopol formiert, im Norden sprießen neben Stadtkind unter anderem das Magazin Niedersachsen oder die Göttinger Wochenzeitung (siehe Kasten). Was sollen arbeitslose Journalisten auch sonst tun?

Eins ist allen Projekten gemein: Eine ziemlich ungewisse Zukunft, Löhne weit jenseits des Tarifs – und unendlich viel Idealismus. „Man muss Realist sein“, sagt Frank Rieger vom Deutschen Journalisten-Verband. Natürlich klagten viele, dass die etablierten Medien nur auf massenfähiges Programm setzen. Aber viele Start-Ups kämen kaum über erste Ausgaben hinaus. „Vielfalt ist immer positiv“, betont Rieger. „Aber sie muss sich auch am Markt behaupten“.

Kompa weiß, dass vor ihm in Hannover schon einige Magazin-Projekte in die Grütze gegangen sind. Aber er ist nicht nur Gitarrist von „Antipasti 2000“, hat Philosophie und Literatur studiert, als freier Journalist gearbeitet und Romane geschrieben – jetzt jobbt er in seiner 100-Stunden-Woche auch noch als Kellner, um das Stadtkind ins Laufen zu bringen. Vier Jahre ist er mit der Magazin-Idee schwanger gegangen, hat sich Geld geborgt, ein Netzwerk aus Freunden, Literaten, Künstlern und Grafikern um sich gesammelt. Zehn gehören zum engeren Stadtkind-Kern, 30 Mitarbeiter soll es insgesamt geben. „Wirklich eine Anzeige verkauft hat vorher noch niemand“, sagt Kompa. Und setzt auf „Seilschaften statt Plakate“. Bald will er im U-Bahn-Fernsehen fürs Stadtkind werben.

Stattliche 116 Seiten hat die erste Ausgabe, Hochglanz-Papier, 10.000 Stück Auflage, Kampfpreis: 1,50 Euro. Einige der lebensnotwendigen Anzeigen wurden geschaltet. Noch sind es viel zu wenig, dafür halten sich die Stadtkinder aber auch für völlig unabhängig von Veranstaltern, Restaurants oder Kneipen. Wenige Tage nach der Geburt des Stadtkinds gibt es hundert Abonnenten. „Nicht übel, oder?“, fragt Kompa. In wenigen Monaten will er die Zahl der Abos auf 1.000 steigern, in zwei Jahren die Auflage verdoppelt haben. Derzeit fährt die Stadtkind-Crew selbst die über 700 Kioske und Verkaufsstellen in der Stadt ab, um zu prüfen, ob das Blatt auch für den Kunden sichtbar platziert ist.

Der Name von Kompas großem Konkurrenten taucht kein einziges Mal im neuen Heft auf. Stattdessen meint er, „viele sagen, der Schädelspalter sei genauso nichts sagend wie Hannover“. Der Platzhirsch galt lange als das alternative Stadtmagazin der Stadt. Der Ruf hat jedoch gelitten, spätestens seit Madsack, der größte Verlag Niedersachsens, beim Schädelspalter eingestiegen ist.

Okay, das Layout hakelt noch. Aber an sich ist Heft eins nicht schlecht geworden. „Hannover ist schön!“, lautet der erste Satz im Editorial, dem wohl kaum jemand hier widersprechen dürfte. Es folgen Kolumnen, Konzertkritiken, CD-, Film- und Buchbesprechungen, Kurzgeschichten – und natürlich der Terminkalender. Es sind die kleinen feinen Geschichten wie die „Monatliche Randgruppenbeleidigung“, der Kiez-Fotoreport oder die Glosse über malende Katzen, mit denen das Stadtkind Leser ziehen will. Im nächsten Heft soll es ums Krökeln gehen und gegen Straßenpinkler gewettert werden. Kompa: „Die Hannoveraner interessiert nicht nur das Schauspielhaus, sondern auch, was im Freizeitheim Vahrenwald abgeht.“