Tegel wehrt sich gegen Straftäter-Ambulanz

Anfang April soll neben der JVA Tegel eine ambulante Betreuungseinrichtung für 40 entlassene Sexual- und Gewaltstraftäter eröffnet werden. Bezirkspolitiker, Anwohner und Grüne sind gegen die Senatsentscheidung

Das Thema ist hochsensibel, der politische Umgang damit nicht. Bei der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel soll schon in drei Wochen eine ambulante Betreuungsstelle für 40 Sexual- und Gewalt-Straftäter entstehen. Die Haftentlassenen sollen dort psychologisch betreut werden. Das zumindest plant Justizsenatorin Karin Schubert (SPD). Die Reaktionen sind heftig: „Wir in Reinickendorf haben das Gefühl, dass wir zum Verschiebebahnhof für Gestörte werden“, poltert der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Abgeordnetenhaus, Andreas Gram (CDU). Die Standortentscheidung sei über ihre Köpfe hinweg gefallen, kritisieren Bezirks- und Elternvertreter. Gestern beschäftigte sich der Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses mit dem umstrittenen Thema.

„Nur sporadisch haben wir nach und nach Informationen über die Standortfindung bekommen“, bemängelt Bezirksbürgermeisterin Marlies Wanjura (CDU). Die Justizsenatorin verteidigt sich: Schon seit August 2004 hätten Senat und Bezirk sich rege über den möglichen Standort JVA Tegel ausgetauscht. Unbestritten ist: Im September 2003 beschloss der Senat die Einrichtung einer so genannten forensisch-therapeutischen Ambulanz. Sozial- und Justizverwaltung wollen sich die Gesamtkosten von 500.000 Euro ebenso teilen wie die 40 Behandlungsplätze. Vier ärztliche und psychologische PsychotherapeutInnen, ein Sozialarbeiter und eine Verwaltungskraft sollen hier Anfang April ihre Arbeit aufnehmen.

Die Entscheidung für Tegel ist, laut Justizsenatorin, nach einem Vergleich mit anderen möglichen Standorten gefallen: Charité, Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik sowie die Psychiatrie in Buch. Jedoch sei keiner personell wie finanziell besser geeignet als die JVA. CDU-Rechtsexperte Gram hält dagegen: „Wir sind für eine Anbindung an die Charité.“ Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Volker Ratzmann, sieht das ähnlich: „Ich kann mir vorstellen, dass die Kontrolldichte in Berlins Mitte größer ist als an einem so isolierten Standort wie Tegel.“

Nahe der künftigen Straftäter-Ambulanz liegen vier Kitas und zwei Grundschulen. Manche Eltern fühlen sich deshalb vom Senat übel behandelt. „Ich habe von der Entscheidung für den Standort JVA Tegel aus dem Radio erfahren“, sagt Andreas Hanel, Elternvertreter der nahe gelegenen Havelmüller-Grundschule. „Ich hätte Bedenken, mein Kind in dieser Gegend frei herumlaufen zu lassen.“ Auf Elternproteste antwortet die Justizsenatorin seit einigen Tagen mit einem Brief. Darin heißt es: „Wir können Ihre Sorgen (…) nachvollziehen und nehmen sie sehr ernst.“

Der Reinickendorfer Stadtrat für Jugend und Familie, Peter Senftleben, hält die Standortwahl für verantwortbar. „Bisher konnten die erwarteten Probleme nicht mit Fakten belegt werden“, sagt der SPD-Politiker.

Auch der Psychiater Werner Platz vom Vivantes Humboldt-Klinikum gibt zu bedenken: „Behandelte Sexualstraftäter haben eine geringere Rückfallquote als unbehandelte.“ Und: „Während der Behandlung kommt es sehr selten zu Rückfällen.“

Schon heute gibt es im Bezirk Reinickendorf, zu dem Tegel gehört, mehrere große Häftlingseinrichtungen: Die JVA Tegel ist mit mehr als 1.600 Inhaftierten die größte Haftanstalt Deutschlands. Auf dem Gelände der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik werden rund 500 psychisch Kranke betreut. Hinzu kommen die Offene Vollzugsanstalt der JVA Heiligensee mit 200 Freigängern sowie eine Außenstelle der JVA für Frauen mit 61 Plätzen.

MATTHIAS LOHRE