Verloren – und alle jubeln

Die „Alligators“ wollen um jeden Preis in die Eishockey-Bayernliga absteigen

Einen freiwilligen Abstieg in eine niedrigere Liga sehen die Statuten nicht vor

350 Zuschauer stehen wie gebannt auf ihren Plätzen. Unten fressen sich die Schlittschuhe in das Eis, die Torsirene heult, die Anzeigentafel leuchtet auf. Ein Jubelschrei tönt durch die Halle. Alles so, wie es sich bei einem Eishockeyspiel gehört! Oder doch nicht? Die Fans jubeln, wo doch die gegnerische Mannschaft in Führung gegangen ist. Haben die ihr Drittel-Pausen-Bier schon vorher gezischt? Nein, nein. Die Anhänger des EHC Höchstadt sind durchaus bei Sinnen. Aber ihr Verein will etwas ganz anderes als in den vergangenen Jahren, wo sie sich mit viel Engagement hoch gekämpft haben – von Aufstieg zu Aufstieg. Jetzt möchten sie nur noch eines: unbedingt absteigen, raus aus der Eishockey-Oberliga Nord. Aber so leicht, wie sich die Verantwortlichen der „Alligators“ das vorgestellt haben, wird das „Projekt Abstieg“ nicht.

Dieser Tage flatterte Vorstand Axel Rogner schon mal ein Brief vom Anwalt des Liganachbarn Schweinfurt auf den Tisch. Die Schweinfurter fürchten um Zuschauer in den Play-Offs, wenn von vornherein fest steht, dass die „Alligators“ verlieren werden. Und genau das wird in den kommenden drei Spielen und bei den dann folgenden Play-Downs passieren. Nicht, weil die Spieler dazu eine Anweisung bekommen hätten – nein! Weil die Profis beim Höchstädter EC vorzeitig freigestellt und heim nach Kanada und anderswo geschickt wurden und jetzt Spieler aus der Jugendmannschaft und die Amateure ran müssen.

Warum aber, um Himmels Willen, will ein Verein um jeden Preis absteigen, der jahrelang um den Aufstieg gekämpft hat? „Weil wir uns diese Liga einfach nicht leisten können“, sagt Präsident und Vereinsgründer Axel Rogner. Ein Riesenproblem für den reichlich verständnislosen Dachverband ESBG – die Eishockey-Betriebsgesellschaft. Denn einen freiwilligen Abstieg in eine niedrigere Liga sehen die Statuten nicht vor. Entweder ganz runter, in die Bezirksliga, oder gar nicht.

Nun ist allerdings der EC-Präsident von Beruf Betriebswirt. Er steht zudem mit beiden Beinen im Leben und kann auch noch rechnen. Genau das hat er getan. Heraus kam Folgendes: Um sich die Liga und die dafür nötigen Profis leisten zu können, bräuchte man pro Spiel rund 800 Zuschauer. Aber die kommen nicht, und das hat einen guten Grund. Die 15.000-Einwohner-Stadt Höchstadt liegt ganz im Norden von Bayern und die ECler rutschten – entgegen anders lautenden Zusagen – in die ungeliebte Oberliga Nord, wo sie gegen Oberhausen und Berlin und andere Nordlichter antreten und zu diesen auch bei Auswärtsspielen hinfahren müssen.

Verbunden fühlen sie sich aber mit dem Süden, wohin sie auch viel schneller zu den Auswärtsspielen kämen. Kommt noch dazu, dass zu den Spielen gegen die alten Rivalen aus dem Süden viel mehr Zuschauer kamen. Derby bleibt nun mal Derby. Die Bayernliga, wo die Höchstädter wieder hinwollen, ist eine Amateurliga, die Oberliga Nord aber größtenteils eine Profiliga.

Profis aber kann sich Höchstadt nicht wirklich viele leisten. Doch nur die haben Zeit dazu, auch weite Reisen zu Auswärtsspielen mitzumachen. Die Amateurspieler müssen arbeiten oder studieren und deshalb oft daheim bleiben. Also fährt ein Rumpfkader mit acht Profis und einigen Amateuren zu den mitunter weit entfernten Auswärtsspielen – und die werden dann in schöner Regelmäßigkeit verloren.

Wenn aber ein Verein oft verliert, bleiben die zur Finanzierung des Kaders nötigen Zuschauer und somit die Einnahmen aus. Betriebswirt Roger tagte angesichts dieser Erkenntnis lange mit den 19 anderen Vorstandskollegen und bat daraufhin die Eishockey-Betriebsgesellschaft, eine Klasse tiefer spielen zu dürfen, um solides Eishockey bieten zu können und nicht – wie viele andere Vereine – sehenden Auges in die Pleite zu rennen.

Die ESBG lehnte ab, und so wird also jetzt gezwungenermaßen mit Hochdruck um den sportlichen Abstieg gekämpft. Was übrigens gar nicht so leicht ist, weil nur einer aus der Oberliga Nord absteigt. Sogar die Fanclubs finden’s gut, die Sponsoren ebenso. Alle, nur nicht der Verband und nicht die Schweinfurter und andere Konkurrenten.

Aber es wird wohl alles juristische Scheppern nichts nützen, denn die Höchstädter spielen mit offenen Karten, sagen, dass sie gern absteigen würden, fordern aber keinen Spieler zum Verlieren auf. Sie tun jetzt einfach das, was sie sich leisten können: Amateure und Jugendspieler aufstellen – und die können nun mal nicht gewinnen, wenn die anderen Mannschaften ihre vielen Profis aufs Eis schicken. Die Jungen geben ihr Bestes, und so mancher Jugendspieler hat sich schon bei seinen Vereinsoberen für die Bayernliga interessant gemacht.

Das „Projekt Abstieg“ läuft auf Hochtouren, und schon geht in der kleinen fränkischen Stadt ein ganz klein wenig die Angst um, was denn wäre, wenn man absteigt und in der nächsten Saison in der Bayernliga so gut spielt, dass man wieder in die Oberliga aufsteigen würde … KLAUS WITTMANN