Exzellente Nacht

Liverpools Steven Gerrard setzt die Glanzlichter beim 3:1 des FC Liverpool gegen Bayer Leverkusens Käsefußballer

LEVERKUSEN taz ■ Niemand hatte geahnt, dass dieser Moment noch vor Spielbeginn solche Symbolkraft haben würde. Ein zirka 8-jähriger Junge der einheimischen Ballkinder war beim Shakehands der Mannschaften noch nicht vom Platz gewieselt und mit Steven Gerrard leicht zusammengestoßen. Es war das letzte Mal an diesem Abend, dass ein Leverkusener dem Kapitän des FC Liverpool derart nennenswert im Weg stand.

Gerrard war der alle und alles überragende Spielgestalter bei Liverpools konterschlauer 3:1-Gala. Er war erfüllt mit der unbändigen Spiellust eines ausgelassenen Kleinkindes und hatte die Dynamik einer Handgranate. Vor allem hievte er das Antizipationsvermögen auf neues Niveau: Gerrard wusste vorher nicht nur, was er mit dem Ball machen würde, er schien längst zu wissen, was er damit gemacht hatte. Der 24-Jährige gewann sogar Kopfballduelle, ohne das Spielzeug zu berühren – brav leitete ein Leverkusener Adjutant wie ferngesteuert die Kugel exakt zu einem der frei stehenden „Reds“ in den gelben Leibchen.

Dabei zelebrierte Gerrard, fast immer in verzauberndem Direktspiel, seine Pässe mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks. Das passte zur Leverkusener Abwehr, die löchrig war wie ein Emmentaler, nur ohne Käse zwischen den Löchern. Dankenswerterweise rundete Bayer-Trainer Klaus Augenthaler spät am Abend das Bild ab: Man hatte sich „so viel vorgenommen“, um das Hinspiel-1:3 aufzuholen, aber nach dem 0:1 nach 28 Minuten sei „der Käs’ gegessen gewesen“.

Den Pass dazu hatte natürlich Steven Gerrard gespielt. So wie auch vier Minuten später beckhamnesk die Ecke geschlenzt, die wiederum Luis Garcia frech vollendete. Auch am dritten Tor (Baros, 67.) war der 28-fache englische Auswahlspieler beteiligt. Es fehlte als Krönung nur ein Tor des plattfüßig dahingleitenden Regisseurs, der von einem ebenfalls starken Didi Hamann als Defensiv-Gerrard abgesichert wurde. Steven Gerrard spielte übrigens genau einen Fehlpass, nach 86 Minuten. Und man sah, wie ihn der kleine Makel wurmte.

Sein Trikot gab er nachher niemandem her. Und gesagt hat er nur etwas zu Sky Sports: „Wir wussten, wir konnten sie mit Kontern erledigen, das war unser Masterplan. Wir waren gierig zu gewinnen.“ Dann entschwand er; Dopingprobe. Auch der Mannschaftsbus fuhr ohne ihn ab; kein Irdischer bekam Steven Gerrard mehr zu Gesicht. Der Independent nannte ihn gestern „gewaltig“ und „generally highlighting“, die BBC dankte für die „exzellente Nacht“; der Mirror erklärte Gerrard „prächtig mit unfassbarer Energie“.

Hochexklusiv kam die Analyse von Bayers maladem Kapitän Jens Nowotny: „Liverpools Tore kamen aus dem Nichts und haben den Spielverlauf auf den Kopf gestellt.“ Vielleicht hatte der Kreuzbanddauerpatient auch die Statistik gelesen, die genauso log wie er. Bayer hatte häufiger aufs Tor geschossen, dazu ein Eckenplus und deutlich mehr Ballbesitz – in der 2. Halbzeit waren es sogar phänomenale 70 Prozent. Und dennoch waren die ersatzgeschwächten Deutschen (ohne sechs Stammkräfte) schier chancenlos. „Wir haben Lehrgeld bezahlt“, sagte Trainer Klaus Augenthaler, in dessen sorgenfurchigem Gesicht sich am Mittwoch noch jede Kreuzspinne verfangen hätte.

Augenthalers Taktik trug Mitschuld. Der dynamische Techniker Schneider in der Viererkette: verschenkt. Ramelow im Mittelfeld: offensiv wieder mal eine hektische Zumutung. Der Knirps Placente in der Innenverteidigung: ein Fehlgriff. Und Landon Donovan, der US-Boy, spielte Fußball, wie sich die meisten Deutschen beim American Football anstellen würden. Vor allem hatte sich niemand um Gerrard gekümmert, eine strategische Todsünde.

Die Ansprüche der ehemaligen Triumphatoren in der Europaliga (Finalteilnahme 2002, im Herbst noch 3:0 gegen Real Madrid) sind im Keller: Augenthaler war schon „zufrieden, dass wir versucht haben, das Ergebnis in Grenzen zu halten“. Und er wurde grenzphilosophisch: „Kein Schaden ohne Nutzen.“ Denn jetzt gelte es, „in der Bundesliga wieder in die Spur zu kommen“.

Immerhin: Einen zehntausendprozentigen Fußballer wie Gerrard gibt es da nicht. Und leider gab es ihn auch nicht am 7. Oktober 2000, beim letzten Spiel auf heiligem Wembley-Geläuf. Damals war er verletzt. Didi Hamann ist bei deutschen Fans im Gespräch, als letzter Torschütze Namenspate für eine Brücke am neuen Wembley-Fußballpalast zu werden. Unfug: Hamann hatte schon damals gesagt, der Ruhm sei ihm „eigentlich ziemlich egal“. Ein Hamann-Brückengeländer würde völlig reichen. Passender wäre, die BayArena ehrfurchtshalber in Gerrard-Ground umzubenennen.

BERND MÜLLENDER