Sterbenlassen wird nicht einfacher

Bei der ersten Parlamentsdebatte über die Patientenverfügung bleibt die Enquete-Kommission unter sich. Deren Meinung ist aber klar: Die Mehrheit will noch kein Gesetz. Nur die FDP hält zu Justizministerin Zypries und fordert mehr Autonomie

VON ULRIKE WINKELMANN

In welchem Ton spricht der Deutsche Bundestag über das Lebensende? Er beginnt: fragend. „Wie werde ich sterben?“ So eröffnete der SPD-Abgeordnete René Röspel die gestrige, erste Debatte über die Patientenverfügung – eine Parlamentsdebatte über Sterbenwollen und Sterbenlassen.

Der Bundestag war in Schulklassenstärke erschienen. Bei Röspels ersten Worten standen einige Abgeordnete noch plaudernd herum, denn gerade verließen diejenigen das Plenum, die sich soeben über Krankenkassenbeiträge gestritten hatten. Zurück blieben vor allem die Mitglieder der Enquetekommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“. Deren „Zwischenbericht“ zur Patientenverfügung war offiziell Anlass der Debatte – zwei Wochen nachdem Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) ihren Gesetzentwurf zurückgezogen hat.

Zypries’ Absicht war, die Erklärung, wie jemand medizinisch behandelt werden will, falls er bewusstlos ist und dies nicht aktuell entscheiden kann, rechtlich zu stärken. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten sollte besonders gegenüber Ärzten, die einen Patienten lieber weiterbehandeln wollen, mehr Geltung bekommen.

Doch hatte Zypries die Rechnung ohne die Enquete gemacht. Denn deren Mehrheit findet eine Patientenverfügung zwar grundsätzlich sinnvoll. Rund zehn Prozent der Bevölkerung haben eine verfasst. Doch will die Kommissionsmehrheit nicht, dass die Verfügung immer gilt.

Gegen das, was sie „vermeintliche Selbstbestimmung“ nennen, setzen Réne Röspel (SPD), Christa Nickels (Grüne) und Thomas Rachel (CDU) vor allem Beispiele. Was sei im Krankenhaus mit dem Motorradfahrer zu machen, der bei einem Unfall seine Beine verliert und vor langer Zeit – vielleicht mit 18 Jahren – aufgeschrieben hat: Ich will nicht im Rollstuhl leben müssen? Soll die altersverwirrte, aber fröhliche alte Dame an Lungenentzündung sterben, weil sie vor Jahren erklärte: Ich will nicht dement an Schläuchen hängen?

Nickels, die oft auf ihre 13-jährige Erfahrung als Krankenschwester hinweist, rief gestern in den Bundestag: „Wie wollen Sie den Schwestern und Pflegern klar machen, dass es zu ihren Pflichten gehört, Menschen im Wachkoma verhungern und verdursten zu lassen?“ Würde das Personal in Krankenhäusern und Heimen gezwungen, Patienten bei einem langen Tod zuzuschauen, „dann wird der Ruf nach aktiver Sterbehilfe laut erschallen“, prognostizierte Nickels. Aktive Sterbehilfe, die Tötungspille oder -spritze auf Verlangen, ist in den Niederlanden und Belgien legal – in Deutschland jedoch nicht. Sie wird auch auf breiter Front abgelehnt.

Michael Kauch (FDP) vertrat gestern die Enquete-Minderheit. Während seine Kontrahenten eindringlich mahnten und warnten, zwinkerte er Zypries zu, die allein auf ihrer Ministerbank saß. Kauch warf Nickels vor, mit „Hysterie jede sachliche Auseinandersetzung“ zu verhindern. „Es geht nicht um Töten, sondern um Sterbenlassen“ – darum, „der Natur ihren Lauf zu lassen, wenn ein Mensch das will“, sagte er. Nicht der Arzt, sondern der Patient „ist der Schwache, der geschützt werden muss“. Die Enquete-Mehrheit „liefert Patienten der Zwangsbehandlung aus“.

Kauch forderte, noch in diesem Jahr ein Gesetz zur Patientenverfügung auf den Weg zu bringen. Doch machte Wolfgang Wodarg (SPD) deutlich, wohin die Enquete-Mehrheit den Bundestag zu ziehen gedenkt: „Wir haben Zeit, zu diskutieren“, sagte Wodarg. Mit Betonung auf Zeit.