Theoretisch abwehrbereit

Das Mehr an Sicherheit hätten wir heute auch ohne den 11. September. Auf dem Weg zum Polizeistaat befindet sich Deutschland jedenfalls nicht

Deutschland hat in Zeiten des islamistischen Terrors seinen rechtsstaatlichen Charakter nicht verloren. Trotz zuweilen aufgeregter Debatten wurden Polizeibefugnisse nicht unverhältnismäßig ausgeweitet und Bürgerrechte kaum eingeschränkt.

Die zwei wichtigsten Änderungen erfolgten direkt nach den Anschlägen vom 11. September 2001. So können in Deutschland jetzt auch religiöse Vereine wie der Kölner Kalifatstaat verboten werden, wenn sie sich gegen die Werte der Verfassung oder gegen die Völkerverständigung richten. Außerdem wurde der Paragraf 129b StGB eingeführt. Seitdem ist auch die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und deren Unterstützung strafbar. Bis dahin griff das Strafrecht nur ein, wenn ausländische Terrorgruppen in Deutschland aktiv werden wollten.

Beide Maßnahmen waren aber nur scheinbar Reaktionen auf die Anschläge von New York und Washington. Sie waren damals längst auf dem Weg und wären in jedem Fall umgesetzt worden. Für die Bestrafung ausländischer Terror-Organisationen gab es sogar einen EU-Beschluss (den Spanien maßgeblich initiiert hatte, damit die baskische ETA im Ausland keine Ruheräume mehr findet). Doch die deutsche Politik war froh, dass sie der Öffentlichkeit sofort ein erstes „Sicherheitspaket“ präsentieren konnte.

Schon nach wenigen Wochen legte Innenminister Otto Schily ein Sicherheitspaket II vor, das allerdings von der damaligen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (ebenfalls SPD) und den Grünen wieder zurechtgestutzt wurde. Heute kann kaum ein Rechtspolitiker noch aus dem Stand sagen, aus welchen Detailänderungen eigentlich das Sicherheitspaket II bestand. Selbst Maßnahmen, die damals wahlweise als „Gefahr für den Rechtsstaat“ apostrophiert wurden, spielten später kaum eine Rolle – etwa die neue Möglichkeit, Ausländer schon deshalb auszuweisen, weil sie direkt oder indirekt terroristische Organisationen unterstützen. Drei Jahre später beschwerte sich Schily, die Regelung sei kein einziges Mal angewandt worden.

Nach den Anschlägen von Madrid wurde aber sofort ein neuer Versuch unternommen, das Ausweisungsrecht zu verschärfen. Am Ende wurde beschlossen, dass gefährliche Ausländer schon aufgrund einer „tatsachengestützen Gefahrenprognose“ ausgewiesen werden können – was eigentlich nichts Neues war, denn das Ausländerrecht diente schon immer der Gefahrenabwehr. Neu war dagegen das Schnellverfahren. Ausweisung und Abschiebung wurden zur „Abschiebungsanordnung“ zusammengezogen. Der Rechtsschutz beschränkt sich auf eine Instanz, das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG). Doch wieder bleibt abzuwarten, wie häufig das Instrument angewandt wird. Anfang des Jahres sprach der Spiegel von bis zu 2.000 Schnellausweisungen und wurde umgehend von Eckart Hien, dem BVerwG-Präsidenten korrigiert: er rechne allenfalls mit 60 Verfahren in diesem Jahr.

Während es im Ausländerrecht immerhin lebhafte Debatten gab, so blieb im Strafrecht alles ruhig. Die von dem Bonner Strafrechtsprofessor Günther Jakobs ins Spiel gebrachte Idee eines „Feindstrafrechts“ hat bisher nur negativen Widerhall gefunden.