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Archiv-Artikel

Das sanfte Element

Frauen gebären zunehmend im Wasser. Darin können sie besser entspannen. Für die Neugeborenen ist die Ankunft auf diesem Wege weniger abrupt. Hebammen und Mediziner attestieren der schon von Naturvölkern praktizierten Methode viele Vorteile

VON LARS KLAASSEN

Seit einigen Jahren zieht es Mediziner, Hebammen und werdende Mütter zunehmend zum wohligen Nass. Immer mehr Frauen gebären im Wasser. Und sie haben gute Gründe dafür: Im warmen Wasser entspannen sich Muskulatur und Gewebe, der Muttermund öffnet sich leichter und schneller, die Geburtswege werden weich und elastisch. Hinzu kommt, dass Wasser die Frau dazu einlädt, die Bewegungen und Positionen zu finden, die ihr das Gebären erleichtern. Bei alldem spielt auch das Gefühl eine große Rolle. „Genau wie das Bett ist die Wanne ein intimer Bereich, in dem die werdenden Mütter sich geschützt fühlen und damit auch besser entspannen können“, erklärt Anja Tatschke vom Geburtshaus am Arnimplatz im Prenzlauer Berg. Dort werden seit der Gründung 1992 auch Wassergeburten praktiziert. Nicht nur in Geburtshäusern, auch in den Kreißsälen herkömmlicher Kliniken sind dafür speziell ausgelegte Wannen mittlerweile Standardausstattung. Für Hausgeburten gibt es auch aufblasbare Modelle, die von Firmen verliehen oder von der Hebamme mitgebracht werden.

„Zwischen den kurz hintereinander folgenden Wehen konnte ich mich total gut entspannen“, erinnert sich Katrin Stibbe an die Geburt ihres ersten Kindes in einem Wasserbecken. „Weil man bei der Geburt körperlich sehr aktiv ist, war es mir im Wasser auch warm genug – obwohl ich eigentlich eine Frostbeule bin.“ Gebärende entscheiden selbst, ob und wann sie in das Geburtsbecken steigen möchten. Das kann schon zu Beginn der Wehen oder auch erst mit dem Einsetzen der Presswehen geschehen. Mit einem CTG-Funk-Gerät können die kindlichen Herztöne auch im Wasser überwacht werden. Wenn die werdenden Eltern wollen, kann auch der Mann mit in die Wanne steigen. Stibbes hatten diese Option im Vorfeld erwogen: „Thomas hat eine Badehose mit ins Geburtshaus genommen“, sagt Katrin Stibbe. „Aber dann kamen wir doch nicht dazu. Er hat mich vom Wannenrand, mit den Armen bei mir im Wasser, begleitet.“ Ihr Fazit: „Es war ein tolles Erlebnis!“ Katrin Stibbe wird in einigen Wochen ihr zweites Kind zur Welt bringen – es soll wieder eine Wassergeburt werden.

Was nun von immer mehr werdenden Eltern entdeckt wird, haben andere Völker schon vor langer Zeit praktiziert: Bereits die Maori-Frauen gingen früher ins Meer, wenn sie Wehen bekamen. An vielen Stellen der Küste Neuseelands bilden Steine ein kleines Becken, das vor den Wellen schützt und von frischem warmem Wasser gespeist wird. der ideale Ort für die Maori, ein Kind zur Welt zu bringen. Auch andere Naturvölker nutzten und nutzen die entspannende Wirkung des Wassers. Die Kinder auf den Polynesischen Inseln wurden in den warmen Lagunen der Korallenriffe geboren. Noch heute klammern sich die Frauen einiger Urwaldvölker am Amazonas an Äste und Wurzeln, während sie ihre Babys im Fluss gebären.

Statt fließender Gewässer und schwankender Temperaturen erwartet angehende Mütter hierzulande eine ausgeklügelte Badeoase. Mit der Wannenform fängt es an: „Sie muss genügend Platz bieten und ist deshalb besonders breit und hat einen hohen Rand“, erklärt Birgit Eulgem vom Geburtshaus am Klausenerplatz in Charlottenburg. „800 bis 900 Liter sollte so eine Wanne schon fassen. Der ganze Bauch sollte im Wasser sein, und auch wenn die Frau sich hinkniet, sollte sie sich noch im Wasser befinden.“ Im Geburtshaus am Klausenerplatz wurde 1998 eine entsprechende Geburtswanne eingebaut. Mittlerweile kommen rund die Hälfte der Kinder dort im Wasser zur Welt. Schon in den Geburtsvorbereitungskursen werden die angehenden Eltern am Klausenerplatz mit Wassergeburten vertraut gemacht, unter anderem mit monatlichen Vorträgen zum Thema.

Auch Hebammen müssen auf Wassergeburten vorbereitet sein. Entscheidend ist etwa die Temperatur des Wassers: „Es sollte kühler als der Körper sein, etwa 34 Grad Celsius“, sagt Birgit Eulgem. „Dem Wasser wird außerdem Meersalz hinzugefügt, damit es eine ähnliche Beschaffenheit hat wie das Fruchtwasser.“ Denn das Baby soll in ein vertrautes Milieu gelangen – kühle Außenluft ist ihm fremd.

Der Atemschutzreflex des Kindes verhindert das Eindringen von Wasser in die Lunge. Dieser Mechanismus verschließt die Luftröhre des Kindes, solange es von Wasser umgeben ist. Das Neugeborene atmet erst ein, wenn die Haut seines Gesichts mit Luft in Berührung kommt. Das Baby bleibt einige Sekunden unter Wasser, bevor die Mutter es auf ihren Bauch legt.

Im Wasser geboren zu werden, bedeutet einen sanften Übergang von der bisherigen Welt in unsere. Und durch die größere Gelöstheit seiner Mutter erlebt auch das Baby auf seinem Weg durch den Geburtskanal weniger Stress. Nach der Geburt können Eltern und Kind im Wasser sitzen bleiben und sich in Ruhe kennen lernen. Erst wenn sich die Plazenta gelöst hat, ist es an der Zeit, die Wanne zu verlassen.

Informationen zu Wassergeburten im Geburtshaus am Arnimplatz: www.geburtshaus-am-arnimplatz.de, Geburtshaus am Klausenerplatz: www.geburtshausberlin.de