Leise ist nicht falsch

Lange suchte die 68erin Dorothea Härlin nach neuen Protestformen – bei Attac wurde sie fündig

„Wer laut genug ist, kann auch etwas verändern.“ Das wollte Dorothea Härlin schon immer, und will es immer noch. 1968 demonstrierte und provozierte sie als Studentin lautstark gegen die bürgerlichen Zwänge. Dazu organisierte sie an der Uni eigene Seminare, agitierte, protestierte. Privat lehnte sie die klassische Familie und ihren bürgerlichen Hintergrund ab und lebte stattdessen in einer Wohngemeinschaft.

Heute ist die 58-Jährige selbst Beamtin, verheiratet, Mutter von zwei Kindern. Ihr Protest ist leiser geworden. Verändern will sie aber nach wie vor. „1968 habe ich erfahren, wie es ist, durch eigenes Handeln die Gesellschaft nachhaltig zu beeinflussen.“

Das macht Mut. Mut, den die Pädagogin nie verloren hat. Weder auf der Straße noch in ihrem Beruf. In Situationen, in denen ihre ostdeutschen Lehrerkollegen schon längst resignierten, habe sie immer den Mund aufgemacht. „Das Schulgesetz habe ich damit zwar nicht geändert, aber ich konnte mich abends wenigstens noch im Spiegel ansehen.“ Zweifel, ob sie etwas verändern kann, hatte die 68erin auch während ihrer Zeit bei der Gewerkschaft. Bei der engagierte sie sich nach ihrem achtjährigen Aufenthalt im Baskenland. Das Gefühl, etwas zu bewirken, kehrte aber erst 2001 wieder zurück.

Berichte über die Proteste zum WTO-Gipfel in Seattle ließen in ihr alte Emotionen aufkochen. Dann ging sie zu Attac Berlin: „Ich wollte unbedingt beim G-8-Gipfel in Genua dabei sein!“ Gemeinsam mit fünf weiteren Attac-Mitgliedern aus Berlin fuhr sie hin. Damals war das ein Fünftel der Berliner Gruppe. Nach Genua stiegen die Mitgliederzahlen sprunghaft an. Attac begreift die Bewegungs-Erfahrene als eine Art „Plattform für Leute mit Ideen“. Wichtig war und ist Härlin dabei vor allem, dass sich die Mitglieder nicht nur aus ganz verschiedenen ideologischen Richtungen, sondern auch aus verschiedenen Altersgruppen rekrutieren. „Daraus ergeben sich unterschiedliche Ausdruckformen des Protests.“ Aus gesundheitlichen Gründen ist ihr persönlicher Protest seit eineinhalb Jahren ruhiger geworden – so, wie auch die Globalisierungskritik selbst. Dem kann die Optimistin durchaus etwas Positives abgewinnen: „Ich begreife diese ruhige Phase als Chance“, sagt sie. Verändern will sie jetzt durch Argumente und Reflexion. „Mittlerweile finde ich es nicht mehr tragisch, wenn der Protest nicht laut ist.“ Nachdenken und Zuhören sind ihr jetzt wichtig. „Wir können die Welt nicht verändern, wenn wir nicht bei uns selbst damit anfangen.“ CONSTANZE WEISKE