Tiefe Einblicke ins Private

DATENSCHUTZ Seit Anfang 2008 ist das Gesetz zur sechsmonatigen Speicherung von Verkehrsdaten in Kraft. Der Chaos Computer Club zeigt, was damit möglich ist

VON DANIEL SCHULZ

Welche Aktivisten waren auf der Demonstration gegen Abschiebung? Auf wen ist die Umweltgruppe am meisten angewiesen? Wer hat mit wem eine Affäre? Solche Fragen können die Sicherheitsbehörden künftig für fast alle Deutschen anhand des Verhaltens beim Telefonieren und Mailen beantworten, zeigt ein aktuelles Gutachten des Chaos Computer Clubs. Die Technikfachleute erstellten die Expertise für das Bundesverfassungsgericht, das entscheiden soll, ob die sogenannte Vorratsdatenspeicherung verfassungsgemäß ist.

Jeder Telekommunikationsanbieter muss sechs Monate lang speichern, wer mit wem, wann und wie lange per Telefon oder E-Mail kommuniziert. Zusätzlich zeichnen die Anbieter auch den Bereich auf, in dem jemand sein Handy benutzt – die sogenannte Funkzelle. Diese Regelung gilt für alle gegen Entgelt erbrachten Dienste – ohne konkreten Verdacht auf eine Straftat.

Gegen die Speicherung gibt es derzeit mehrere Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht.

Das Gutachten des Chaos Computer Clubs macht deutlich, welch tiefe Einblicke ins Privatleben mit der Vorratsdatenspeicherung möglich sind. So kann anhand des Datums und der Uhrzeit relativ sicher bestimmt werden, welche Telefonate oder Mailkontakte privater Natur sind – wenn sie beispielsweise regelmäßig an Wochenenden oder Feiertagen stattfinden. Zudem lässt sich mit den Standortdaten der Handys feststellen, ob Personen des Öfteren in der gleichen Gegend unterwegs sind.

Die Häufigkeit und die Regelmäßigkeit von Kommunikation in Abgleich mit Adressdatenbanken lassen zudem Schlussfolgerungen über die Lebensverhältnisse des Telefonierenden zu. Die Überwacher können einigermaßen treffsicher vermuten, ob er dort beispielsweise zuhause ist und in fester Partnerschaft lebt oder sich nur gelegentlich aufhält – weil er eine Affäre hat. Je mehr Vorratsdaten vorliegen, desto genauer fällt die Analyse des Beziehungsgeflechts aus. Das Ordnen der Datenmenge geschieht vollautomatisch.

So lässt sich auch herausfinden, welche Person für das Funktionieren einer Umweltgruppe besonders relevant ist. Häufig ist das nicht der offizielle Sprecher, sondern ein Mitglied, das besonders intensiv mit anderen kommuniziert. Anhand der Mobilfunkdaten lässt sich zudem ersehen, welche Teile der Gruppe sich auf einer Demonstration aufhalten.

Noch genauere Daten lassen sich gewinnen, weil immer mehr Dienstleistungen per Handy eingekauft werden: Tickets in Parkhäusern, Fahrkarten für den öffentlichen Nahverkehr oder Mietfahrräder der Deutschen Bahn.

Darin sieht der Chaos Computer Club mehrere Gefahren: Zum einen könnte die Polizei politisch missliebige Gruppen stark behindern, indem sie deren wichtigste Kommunikatoren ins Visier nimmt. Das Gutachten verweist auf das niederländische Projekt „Gegenwirken“. Dort werden Personen, die der Polizei suspekt erscheinen, denen aber kein Verbrechen nachgewiesen werden kann, mit vielen an sich legalen Einzelmaßnahmen traktiert: Steuerprüfungen, Hygienekontrollen oder Inspektionen durch die Gewerbeaufsicht.

Eine andere Gefahr ist die mangelnde Sicherheit der Daten. Selbst große Provider wie die Telekom können diese nicht garantieren. Im Oktober 2008 publizierte das Unternehmen beispielsweise versehentlich dreißig Millionen Kundendaten im Internet. Kleinere Anbieter können sich Sicherheitsmaßnahmen nicht oder nur sehr schwer leisten.