„Wir haben gelernt, dass nichts sicher ist“, sagen Sunila Abeysekera und Charlotte Bunch

Zehn Jahre nach der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking geht der Kampf um Frauenrechte weiter

taz: Zur Sitzung der Frauenrechtskommission der Vereinten Nationen sind zehn Jahre nach der Weltfrauenkonferenz in Peking 6.000 Vertreterinnen von Frauenorganisationen nach New York gekommen gekommen. Warum?

Sunila Abeysekera: Wir haben gelernt, dass nichts sicher ist, nicht die Umsetzung der Aktionsplattform von Peking und nicht die Rechte, die darin festgeschrieben werden. Frauenbewegungen betrachten die Aktionsplattform als ihren Besitz, als einen unentbehrlichen Referenzpunkt für ihre lokalen Kämpfe. Sie sind hier, um sich dieses Instrument nicht aufweichen oder zerschlagen zu lassen.

Charlotte Bunch: Frauenbewegungen haben seit der 1. Weltfrauenkonferenz 1975 in Mexiko das Konzept durchgesetzt, dass Frauenrechte Menschenrechte sind. Wir haben die politische Agenda verändert und Themen draufgesetzt, die vorher keinen Namen hatten. Vor 15 Jahren meinte amnesty international noch, dass Gewalt gegen Frauen in der Familie nichts mit Menschenrechten zu tun hat. Heute wird Vergewaltigung als Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Gerichtshof behandelt. Wir haben das Konzept, „sexuelle Rechte“ entwickelt und Müttersterblichkeit als eine Verletzung des Rechts auf Leben definiert. Die Aktionsplattform von Peking buchstabiert aus, was es heißt, die Menschenrechte von Frauen umzusetzen. Sie ist nicht rechtsverbindlich für die Regierungen, aber moralisch verpflichtend.

Abeysekera: Alle reden von der Unteilbarkeit der Menschenrechte und teilen sie bis heute. Für uns war es immer klar, dass Frauen politische und bürgerliche Rechte nur wahrnehmen können, wenn sie auch soziale und wirtschaftliche Rechte haben, ihre Existenz sichern können und keine Gewalt erleben. Frauenrechte sind zunehmend anerkannt worden. Die UN sind eine wichtige Arena für uns, um die tatsächliche Einlösung von Frauenrechten zu überprüfen.

Die USA haben letztlich doch die Erklärung zur Bestätigung der Aktionsplattform mitgetragen. Viele werten dies als Sieg für die USA. Sie sei kompromissbereit, habe aber durchgesetzt, dass die Plattform nicht rechtsverbindlich ist und kein Recht auf Abtreibung bietet.

Bunch: Nein, das ist unser Sieg. Die Frauenorganisationen hier und progressive Regierungen haben die USA gezwungen einzulenken. Dabei war es nur vordergründig eine Schlacht um Abtreibung. Es ging den USA um Einschüchterung. Sie wollen das Menschenrechtsparadigma langfristig unterminieren. Es geht hier um Macht, um Definitionsmacht. Frauenbewegungen haben keine neuen Rechte geschaffen. Wir interpretieren Menschenrechte aus Frauensicht und angepasst an veränderte Umstände neu.

Abeysekera: Wir müssen aber auch selbstkritisch sein. Wir haben viel erreicht, aber auch etwas verloren bei dieser Reise vom Basisaktivismus zum Lobbying im globalen Rahmen. Als ich 1985 auf dem Forum von Nichtregierungsorganisationen in Nairobi war, wusste ich überhaupt nicht, was bei der Regierungskonferenz los war. In Peking haben wir uns dann in einer Weise gemainstreamt, dass wir uns selbst nicht wiedererkannten. Jetzt kommen wir mit dem Lobbying nicht mehr entscheidend voran. Wir wollten Teil des Mainstreams sein, aber jetzt sind wir nichts mehr außerhalb des Mainstreams. Am Anfang waren wir sehr viel radikaler.

Graben nicht die Millenniumsziele der UN zur Halbierung der Armut der Aktionsplattform von Peking das Wasser ab?

Bunch: Ja, dahin fließen die Gelder und durch die Millenniumsziele wird das Entwicklungskonzept für die Zukunft bestimmt. Unserer Meinung nach ist der Menschen- und Frauenrechtsansatz viel zu schwach in dem Programm. Dazu müssen wir uns positionieren, denn wir wissen, dass Armut nicht ohne Frauen bekämpft werden kann und Geschlechtergleichheit ein Kern von Entwicklung ausmacht. Wir haben viele Mechanismen, Gremien und Verantwortlichkeiten im UN-System zur Durchsetzung von Frauenrechten geschaffen. Es fehlt uns aber an Strategien, sie zu nutzen.

Abeysekera: Hier bei den Vereinten Nationen haben die Millenniumsziele absolute Priorität, denn es geht auch um das Überleben des UN-Systems, das in einer tiefen Glaubwürdigkeitskrise steckt. Aber die Frauenorganisationen in unseren Ländern nutzen einfach alle Instrumente, die Frauenrechtskonvention, die Aktionsplattform von Peking und auch die Millenniumsziele. Gleichzeitig müssen wir aber die UN stärken, damit sie der Hegemonie der USA etwas entgegensetzen können. Im Augenblick entwickelt sich das UN-System und seine Reform nicht günstig für uns. Frauenrechtskommissionen und Unifem sollen abgewertet, aufgelöst oder in andere Gremien integriert werden. Räume, die wir erobert haben, werden wieder enger.

Und wie kann es weitergehen? Die Frauenorganisationen wirken eher ratlos.

Bunch: Wir brauchen neue Formen des Widerstands. Wir müssen wieder die Machtfrage stellen, vor allem die nach der Definitionsmacht. Zum Beispiel beim Thema Sicherheit. Wessen Sicherheit will der UN-Sicherheitsrat garantieren? Und wer definiert Sicherheit? Jetzt dominiert ein Konzept von nationaler Sicherheit, das die tagtägliche Unsicherheit von Frauen und Männern durch Armut und Gewalt außer Acht lässt.

Abeysekera: Ich wünsche mir, wir würden etwas von unserer alten Radikalität zurückgewinnen und wieder viel mehr gesellschaftliche Normen und Herrschaftsstrukturen hinterfragen.