Vierzig elegante Bewegungsabläufe

Sensation: Wahrheit-Mitarbeiter outet sich als Superheld mit Schwert, Krallen und Hammer

Kein Mäuschen war vor mir sicher – wenn Sie verstehen, was ich meine

Das war von Anfang an klar: Eines Tages kommt alles raus. Kein Geheimnis ist von Dauer. Schon gar nicht in dieser Zeit von Internet und Privatfernsehen mit ihren abertausend gewieften Spürnasen. Wie oft war Frauke Ludowig („Exclusiv“), die härteste Investigativjournalistin Europas, ganz nah daran, mich zu enttarnen! Und wie oft musste ich zum Äußersten greifen, um sie abzulenken. Ich sage nur: Lady Di und Paris …

Heimlichtuerei entscheidet manchmal über Leben und Tod. Bei einem Superhelden sogar ständig. Von meinen Freunden Bruce Wayne und Joschka Fischer habe ich einst gelernt, dass die geheime Identität unerlässlich ist. Denn nur in den Verkleidungen als Bat- und Visaman konnten sie ihre fantastischen Heldentaten vollbringen, ohne die Liebsten daheim zu gefährden. Aber auch sie sind mittlerweile verraten worden und fristen nun als Comicfigur bzw. Außenminister eine Existenz am Rande der Gesellschaft.

Viele Jahre lang habe ich der Welt zwei Gesichter gezeigt. Man kannte mich als kahlköpfig und kurzsichtig, klein und kartoffelig, hielt mich für einen schlichten Journalisten, vor dem niemand außer die deutsche Sprache Angst haben muss. Doch das war nichts als Maske und List. Nach reifer Überlegung habe ich beschlossen, allen Schnüfflern da draußen zuvorzukommen und der Öffentlichkeit mein wahres Ich zu enthüllen. Die Geschichte von Sokolowsky wird umgeschrieben werden müssen – zur Legend of Kay.

Geboren wurde ich auf der malerischen Insel Yenching als dritter von sechs Jungen einer Erfurter Kurzhaarkatze. Kaum der Muttermilch entwöhnt, wurde ich in die örtliche Kampfschule gesteckt. Dort erlernte ich 40 verschiedene Martial-Arts-Bewegungsabläufe und den Umgang mit drei Waffengattungen (Schwert, Krallen, Hammer). Bald war ich auf ganz Yenching berühmt als der kesse Kung-Fu-Kater Kay, und kein Mäuschen war vor mir sicher – wenn Sie verstehen, was ich meine.

Eine schöne Zeit war das! Bis die mächtigen Gorillas unter ihrem Herrscher Shun das Eiland in ihre Gewalt brachten. Als schließlich auch noch die Kampfschule meines Meisters geschlossen wurde, brachte dies das Fass zum Überlaufen. Ich zog die Samtpfoten aus und begann aufzuräumen. Gegen die schier endlosen Feindesreihen aus Gorillas und hinterhältigen Ratten, gegen gigantische Zwischen- und Endgegner rannte, sprang, kratzte ich viele Tage lang an. Nicht immer ohne Blessuren, aber stets äußerst siegreich.

Denn ich fand schlagkräftige Hilfe: Frösche, Hasen, Koalas und die legendären Drachen standen mir zur Seite. Bekanntlich verwandelt schon der bloße Anblick eines Koalabärs den schlimmsten Unhold in ein Bündel rührseligen Fleischs.

Nach der Befreiung Yenchings machte ich mich von meiner asiatisch stimmigen Insel auf gen Westen, ins gelobte Land der Hundesteuer. Hier sorgte ich unermüdlich für die Sicherheit der Schwachen, Angst unter den Schurken sowie die Einführung eines satellitengestützten Mautsystems. Mein dreidimensional-holografisches Tarnkostüm ließ ich mir von den Digitalmagiern des Softwarestudios Neon maßschneidern. Nur sie wussten, wer ich wirklich bin. Bis heute.

Die Kosten dieser Maskerade waren immens. Zwar versicherten mir meine treuen Gefährten bei Neon aufrichtig, sie brächten gern noch größere Opfer, um mir zu helfen. Aber ein kämpferischer Kater wie ich nimmt außer einem sanften Kraulen und ein paar Kitekat-Kräckern nichts gern geschenkt. Also regte ich an, aus meinen Abenteuern auf Yenching ein Videospiel zu machen, das nicht zufällig an berühmte Martial-Arts-Filmklassiker im Stile von Jackie Chan und Jet Li erinnert und das viele Millionen in die klammen Kassen von Neon spülen sollte.

Jahrelang studierten die Programmierer meine geschmeidigen Kampfbewegungen und verwandelten sie in geschickte Tastenkombinationen. Nach schier endlosen Laser-Scans meines Körpers und noch endloseren Sitzungen im Tonstudio für meinen typischen Dialekt ist es dieser Tage fertig geworden: „Legend of Kay“, ein spektakuläres Action-Adventure aus Deutschland – exklusiv für Playstation 2.

Wie groß würde der Erfolg des Spiels aber sein, wenn ich mich der Welt als der zeigte, der ich wirklich bin? Wenn alle wüssten, dass es den Kung-Fu-Kater Kay tatsächlich gibt? Solche Fragen beschäftigten mich in den vergangenen Wochen ebenso wie mein wachsender Unmut, weiterhin als nichtsnutziger Schreiberling mit einer fatalen Neigung zu übermäßig vielen Adjektiven zu gelten.

Möglicherweise werden die Bösewichter dieser Welt nun glauben, sie hätten leichteres Spiel mit mir. Aber da täuschen sie sich! Denn dazu müssen sie es erst mal schaffen, mir den Stöpsel eines Gamepads in den Arsch zu stecken.

KAY SOKOLOWSKY

Alle kursiv gesetzten Passagen stammen aus dem Pressetext zum Spiel „Legend of Kay“. JoWood, zirka 50 €