Turin kann kommen

Die deutschen Biathleten verlassen die WM mit neun Medaillen und guten Mutes in Richtung Olympia. Zum Abschluss gibt es Silber für Sven Fischer

AUS HOCHFILZEN JOACHIM MÖLTER

Man sollte eine Weltmeisterschaft nicht vor der Abschlussfeier loben, sonst kann es einem ergehen wie Thomas Pfüller, dem Sportdirektor des Deutschen Skiverbands (DSV). Der hatte schon am Samstagmittag seiner Biathlon-Abteilung „eine überragende WM“ bescheinigt und den vermeintlich stärksten Konkurrenten eine schlechte Vorbereitung unterstellt: Die Norweger und Russen seien in Hochfilzen nicht mehr in der Form gewesen wie noch vor einem Monat beim Weltcup in San Sicario (Italien), sagte Pfüller und folgerte: „Da sind sicher Fehler gemacht worden.“ Leider standen zu dem Zeitpunkt noch drei Entscheidungen aus, und schon in der ersten davon, der 4 x 7,5-Kilometer-Staffel, gewannen wenig später ausgerechnet die Männer aus Norwegen vor Russland, während Pfüllers hoch gelobte Athleten als Sechste das schlechteste Staffelergebnis der letzten Jahre ablieferten.

Zur Ehrenrettung des Sportdirektors sei gesagt, dass er grundsätzlich Recht hatte: Bis zu seiner Analyse hatte das DSV-Team in sieben Wettbewerben ja schon acht Medaillen geholt, mehr gab es nur zweimal bei internationalen Titelkämpfen: bei der WM 1999 (zehn) und bei Olympia 2002 (neun). Und bei den abschließenden Massenstart-Rennen am Sonntag kam noch eine silberne dazu durch Sven Fischer (übrigens hinter dem mit vier Titeln überragenden Norweger Ole Einar Björndalen). Weil zum Schluss auch die Frauen ein gutes Teamergebnis ablieferten durch Kati Wilhelm (5.), Andrea Henkel (7.) und Uschi Disl (10.), lobte Pfüller, „dass die Trainerschaft es verstanden hat, die Athleten zur WM hin in Topform zu bringen“. Vor allem die Männer hatten – trotz des Malheurs in der Staffel – kompakte Leistungen auf hohem Niveau gezeigt, auch wenn sie ohne Titel geblieben waren. Aber in allen Einzelwettbewerben waren jeweils drei DSV-Athleten unter die ersten zehn gekommen, wobei jeder dieses Trios auch mindestens eine Medaille gewann: Sven Fischer jeweils die silberne im Sprint und im Massenstart sowie die bronzene in der Verfolgung, Michael Greis die silberne im Einzelrennen und Ricco Groß ebenda die bronzene. „Das hat sonst keine Nation geschafft“, rechnete Groß die Platzierungen zusammen: „Ich glaube, dass wir uns als Mannschaft sehr gut verkauft haben. Es ist ja nicht so einfach, mal eben unter die ersten zehn zu laufen.“ Thomas Pfüller hofft dennoch, „dass wir die Situation im nächsten Jahr ähnlich in den Griff kriegen“.

Im nächsten Jahr finden die Olympischen Winterspiele in Turin statt, und da warnt Pfüller schon mal vor allzu großen Erwartungen: „Man kann nicht davon ausgehen, dass wir nach Turin fahren und nur noch die Medaillen abholen.“ Zumindest gilt aber auch für Olympia der Anspruch, den Männer-Bundestrainer Frank Ullrich schon für diese WM formuliert hat: „Wir wollen in jedem Rennen um die Medaillen mitkämpfen. Ob’s immer klappt, ist eine andere Frage.“ Bei deren Beantwortung die sportinteressierte Öffentlichkeit freilich nun ein klares „Ja!“ erhofft.

Vor diesem Erwartungsdruck haben zumindest die Frauen keine Angst, versichert deren Chefcoach Uwe Müssiggang. Seine Abteilung war in Hochfilzen mit drei Titeln durch Uschi Disl (Sprint und Verfolgung) sowie Andrea Henkel (Einzel) und dem zweiten Platz in der Staffel die großen Gewinner. „Seit 15 Jahren gehen wir mit Medaillen heim“ von den internationalen Großereignissen, stellte Müssiggang nüchtern fest, „und darauf stimmen wir die Frauen auch immer wieder ein. Druck ist bei uns die Normalität, und wenn das so ist, dann ist’s auch kein Druck mehr.“

Der größte Druck herrscht sowieso intern. Unter den deutschen Biathleten ist es schwer genug, sich für Olympia, WM oder Weltcup zu qualifizieren: „Wir haben sieben Frauen, von denen jede sofort in einem anderen Land laufen könnte“, sagt Katrin Apel, „da ist es schon sehr viel wert, wenn man bei uns in der Staffel mitmachen darf.“

Der beste Beweis für ihre Behauptung war Andrea Henkel: Die war ursprünglich bloß als Ersatz vorgesehen, wurde nur wegen der krankheitsbedingten Absage von Martina Glagow mitgenommen nach Hochfilzen, rutschte dort dann wegen der Formschwäche von Simone Denkinger in den 20-km-Einzellauf – und gewann ihn prompt. Simone Denkinger war im Übrigen eine der wenigen DSV-Athleten, die enttäuscht aus Hochfilzen wegfuhr: „Ich hatte mir diese Woche anders vorgestellt“, gab sie zu, „aber vielleicht ist das eine Erfahrung, die man machen muss, um besser zu werden.“