Die neue Staatssicherheit

Gesundheits-Chip, aufgehobenes Bankgeheimnis, länger gespeicherte Internet-Daten: Der Staat überwacht seine Bürger immer stärker. Aber die wehren sich nicht. Es geht ja um gefühlte Sicherheit

VON HELMUT HÖGE

Seit Auflösung der Sozialismen in der Sowjetunion, in China und in Jugoslawien ist nicht mehr von Klassen die Rede, sondern nur noch von Rassen (Ethnien), Religionen und Nationen, auch und vor allem in den westlichen Ländern, die sich seitdem sukzessive von Fürsorge- zu Sicherheits-Staaten mausern.

Nicht nur höhlen hier die polizeilichen Überwachungs- und Kontrollsysteme klammheimlich den Datenschutz und die Privatsphäre der Bürger aus, auch durch das 2003 verabschiedete Gesetz für moderne Dienstleistungen (Hartz IV) sowie durch das Ende 2004 in Kraft getretene erweiterte Gesetz gegen den Menschenhandel entledigt sich der Staat der Verpflichtung, die persönlichen Rechte der Bürger verbindlich zu garantieren.

Zu Ersterem meinte der Richter am Bundesverwaltungsgericht Uwe Berlit in den „Informationen zum Arbeitslosen- und Sozialhilferecht“: Mit diesem Gesetz schaffe der Staat „rechtlose Untertanen, über die er bedingungslos verfügen könne, ohne auf deren Willen Rücksicht nehmen zu müssen. Vielmehr werde vorauseilender Gehorsam zur Voraussetzung, damit der Staat diesen entrechteten Menschen die sozialen Existenzgrundlagen nicht vollständig entzieht, wobei selbst diese Unterwürfigkeit keine Garantie biete, dass es nicht doch dazu kommt. Denn nahezu alles ist zukünftig eine Ermessensentscheidung der neuen ‚Fallmanager‘ des Arbeitsamtes, von deren Wohlwollen die Gewährung minimalster Rechte abhängt, da sie nicht mehr als rechtsverbindliche Ansprüche existieren.“

Das neue Gesetz gegen Menschenhandel sieht vor, zukünftig „die Sex- und Arbeitsmärkte einer deutlich sichtbaren Überwachung zu unterstellen und internationale Informantennetze aufzubauen“. Mit diesem Gesetz, so die Frankfurter Prostituiertenorganisation Dona Carmen, „wird die Politik der Hartz-Gesetze der Bundesregierung flankiert: der Niedriglohnsektor soll den in Deutschland legal lebenden Arbeitslosen zustehen (in den sie verstärkt abgeschoben werden), nicht aber den illegalisierten Arbeitsmigrantinnen“.

Gleichzeitig mehren sich auch noch die höchstrichterlichen Entscheidungen, mit deren Hilfe Industrieunternehmen unter leichtsinnigem Verweis auf ihre Schaffung bzw. Sicherung von Arbeitsplätzen ganze Dörfer und Stadtteile zwangsräumen lassen.

Dergestalt atomisiert die neoliberale Politik die letzten fragilen Gemeinschaften und noch halbwegs solidarischen Belegschaften zu bloßem Menschenstaub, wobei u. a. mit den positiv gewendeten Begriffen „Flexibilität“, „gesunder Wettbewerb“, „Anpassung an US-Standards“ und „Ich-AGs“ argumentiert wird. Seit Margret Thatchers dummdreistem Diktum „Ich kenne keine Gesellschaft – nur Individuen“ ist der alte präfaschistische Sozialdarwinismus wieder hoffähig geworden: Wenn in den frühen Achtzigerjahren der Delphin das Totemtier des New Age war, dann ist es jetzt in der New Economy der Wolf, der in Managerratgebern, Eliteuniversitäten und im Feuilleton als vorbildlich für unser zukünftiges Wirtschaften und Weiterleben gepriesen wird.

Den rechten Intelligenzlerblättern Spiegel und Focus gilt die ganze Natur inzwischen als ein einziges Fitness-Center – allwöchentlich kommen sie uns mit neuen Entdeckungen darin: Neid-Gene, Attraktivitäts-Gene, Dominanz-Gene usw. Wem das zu anspruchsvoll klingt, für den hinterfüttert die Springerstiefelpresse dieses Schweinesystem mit täglichen Horrorgeschichten von zunehmender Ausländergewalt bzw. islamistischen Terroranschlägen.

Hinter dem ganzen nahezu weltweiten Sicherheitszauber gegen den Terrorismus – vormals gerechter Befreiungskampf der unterdrückten Völker der Dritten Welt genannt – steckt die Angst der Kalten Kriegsgewinnler vor einem neuerlichen Klassenkampf.

Dagegen schützen sie sich nicht zuletzt auch persönlich: Sogar die 23-jährige „Havelkönigin“ aus Brandenburg hat bereits einen eigenen Bodyguard. Die Industrie- und Handelskammer in Potsdam qualifiziert ihre Arbeitslosen vor allem zu Personenschützern „für Jauch und Joop z. B.“. Vor märkischen Diskos wird man bereits nach Waffen durchsucht.

Und auf dem Gelände des Golfclubs am Seddinsee, der Fürst Ferdinand von Bismarck gehört, entstand ein Hochsicherheits-Wohnareal für die reichsten Zehlendorfer, das Tag und Nacht von dem renommierten Düsseldorfer Wachdienst DSW „betreut“ wird, dessen Gorillas in fünf Minuten zur Stelle sind.

Aber auch die Armen gehen nicht ganz leer aus: In ihren Problembezirken boomen die Selbstverteidigungsschulen und alle Läden, in denen Sicherheit verkauft wird – bis hin zu Videoüberwachungskameras, Rund-um-Versicherungen und Kampfhunden. Schon sind sogar Fahrradschlösser im Angebot, die teurer als die Fahrräder selbst sind.