Peking legitimiert Taiwan-Krieg

Chinas Volkskongress beendet mit der Verabschiedung des Antiabspaltungsgesetzes seine jährliche Sitzung. KP-Führung sucht nach ideologischer Neuerung

PEKING taz ■ Noch am gestrigen Tag der Verabschiedung hat der Regierungschef versucht, dem Gesetz die Spitzen zu nehmen: „Es zielt auf keinen Fall auf die Taiwaner. Es ist keinesfalls ein Kriegsgesetz“, sagte Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao nach fast einstimmiger Annahme des umstrittenen Antiabspaltungsgesetzes durch den Nationalen Volkskongress in Peking vor der Presse. Das Gesetz sieht „nichtfriedliche Mittel“ vor, falls Taiwan Schritte zur Unabhängigkeit unternimmt.

Laut Wen strebe Peking eine friedliche Lösung des Taiwan-Konflikts an, „solange es dafür noch einen Funken Hoffnung gebe“. Allerdings, fügte er hinzu, fürchte China sich vor einer äußeren Einmischung in die Taiwan-Frage nicht, die Peking als innenpolitisches Problem sieht. Da die USA Taiwans Sicherheit garantieren, heißt das: China scheut bei einer Unabhängigkeit der Insel auch den Krieg mit den USA nicht. Taiwan reagierte prompt: Pekings Gesetz „gefährde Frieden und Stabilität“ und gebe der Volksbefreiungsarmee einen „Freibrief“ zur Annektion der Insel, kritisierte der Rat für Festlandsangelegenheiten der Regierung in Taipeh. Präsident Chen Shui-bian hatte zuvor die Taiwaner aufgefordert, noch diese Woche gegen das Gesetz zu demonstrieren.

Damit dürften sich die Befürchtungen unabhängiger Experten bestätigen, die derzeit in jeder Art von politischem Aktivismus in der Taiwan-Frage, ob per Gesetz oder Demonstration, ein Werk von Hardlinern sehen. „Wer die Taiwan-Frage weitertreibt, ganz gleich mit welcher Rechtfertigung, bedroht den Frieden der Region“, kommentierte Wang Gungwu, Leiter des Ostasien-Instituts in Singapur.

In der öffentlichen Wahrnehmung dominierte der Taiwan-Konflikt die diesjährige Tagung des Volkskongresses. Er tritt nur einmal im Jahr zusammen und dient Chinas Kommunisten als Durchwink-Parlament für ihre Haushalts- und Gesetzesbeschlüsse. Gestern wurden zudem Pläne für ein Wirtschaftswachstum von 8 Prozent und die Erhöhung der Militärausgaben um 12,6 Prozent gebilligt. Schon am Sonntag wurde Partei- und Staatschef Hu Jintao zum Vorsitzenden der staatlichen Militärkommission gewählt, womit er auch das letzte Amt von Vorgänger Jiang Zemin übernahm.

Unterhalb der Abstimmungs- und Ankündigungsebene aber spielten sich die wichtigsten Neuerungen des Kongresses im ideologischen Bereich ab. Erstmals präsentierte die jetzige, seit zwei Jahren amtierende KP-Spitze um Hu und Wen ein eigenes Entwicklungskonzept samt neuem Wertesystem. Seine Schlüsselbegriffe sind „nachhaltige Entwicklung“ und „harmonische Gesellschaft“. Offenbar will die KP ihre demokratischen und ideologischen Defizite mit einer noch mehr an die jüngsten westlichen Wachstumsmodelle angelehnten Wirtschaftspolitik und einer größeren Besinnung auf traditionelle Werte der chinesischen Philosophie wettmachen.

Das ist offenbar auch dem Dalai Lama aufgefallen. Tibet könne helfen, die „inneren Werte“ Chinas zu entwickeln, sagte er in einem sehr Peking-freundlichen Interview einer Hongkonger Zeitung. GEORG BLUME

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