Iraks schwieriger Weg zur Demokratie

Am Mittwoch tritt in Bagdad das neue Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Ob es bis dahin eine Regierung gibt, ist ungewiss. Zwischen Schiiten und Kurden sowie innerhalb der beiden Bündnisse gibt es Differenzen

VON INGA ROGG

Sechs Wochen ist her, dass die Mehrheit der Iraker mit ihrer Beteiligung an der ersten freien Wahl seit Generationen ihren Willen zur Demokratie bekundet hat. Doch seitdem warten sie – auf die frisch gebackenen Abgeordneten ebenso wie eine neue Regierung. Am Mittwoch trifft sich die irakische Nationalversammlung nun endlich zu ihrer konstituierenden Sitzung. Der Tag ist mit hoher Symbolkraft gewählt. Am 16. März jährt sich zum siebzehnten Mal der Tag des Massakers von Halabdscha. Dem Giftgasangriff auf die kurdische Stadt an der iranischen Grenze fielen damals 5.000 Zivilisten zum Opfer. Ob die Abgeordneten aber über die einmütige Verurteilung der Verbrechen der Saddam-Diktatur hinaus politische Zeichen setzen werden, ist weiterhin ungewiss.

Als erste Aufgabe steht den Parlamentariern die Wahl eines Präsidenten und zweier Vizepräsidenten bevor. Gemäß der Übergangsverfassung müssen sie mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Der Präsidialrat schlägt dem Parlament dann einstimmig einen Ministerpräsidenten vor, der mit einfacher Mehrheit bestätigt werden muss. Mit diesem Verfahren wollten die Autoren der Übergangsverfassung einen größtmöglichen Konsens zwischen den politischen, ethnischen und religiösen Gruppen des Landes sicherstellen.

Doch daran sind bislang die Verhandlungen um die Regierungsbildung gescheitert. Zwar schafft es die große schiitische „Vereinigte Irakische Allianz“ zusammen mit zwei weiteren Verbündeten auf 146 Stimmen und damit die absolute Mehrheit der 275 Abgeordneten. Für eine Zweidrittelmehrheit ist sie aber auf eine Koalition mit der Liste von Regierungschef Ajad Allawi (40 Sitze) oder dem kurdischen Block, der zusammen 77 Abgeordnete stellt, angewiesen. Da Allawi eine Koalition mit der Allianz ablehnt, sind intensive Verhandlungen mit den Kurden im Gange. Mehr als eine grundsätzliche Einigung haben beide Seite bisher nicht erzielt. Diese besteht in der Besetzung der höchsten Staatsämter. Die Kurden sind bereit, Ibrahim Dschaafari von der fundamentalistischen Dawa-Partei zum Ministerpräsidenten zu küren, die Schiiten willens, den kurdischen Politiker Dschalal Talabani ins Präsidentenamt zu hieven.

Umstritten ist vor allem der Status der Provinz Kirkuk, auf die die Kurden Anspruch erheben, sowie die Kontrolle über die kurdischen Peschmerga-Einheiten. Darüber hinaus wollen die Kurden die Schiiten auf die Trennung von Moschee und Staat verpflichten. Das Misstrauen gegenüber Dschaafari ist groß, da sich dieser als Mitglied des damaligen Regierungsrats gegen eine säkulare Verfassung und die kurdischen Ansprüche auf Kirkuk stark gemacht hat.

Bei dem Feilschen spielen auch Unstimmigkeiten innerhalb der beiden großen Bündnisse eine Rolle. Dem schiitischen Block gehören rund zwanzig Parteien an, die alle auf Posten in der neuen Regierung drängen. Bei der Zusammensetzung der Kandidatenliste wurde ein Proporzsystem gewählt, das keiner Partei des Bündnisses eine Mehrheit sicherte. So hat der Hohe Rat für die Islamische Revolution (Sciri) im Tauziehen um das einflussreiche Amt des Ministerpräsidenten gegenüber Dschaafari nachgegeben und beansprucht dafür als Ausgleich einige Schlüsselressorts. Mit dem Präsidentenamt alleine wollen sich auch die Kurden nicht zufrieden geben, zumal es heute ein eher protokollarisches Amt ist.

Bei den Forderungen der Kurden spielen auch innere Machtkämpfe hinein. Der Streit um Kirkuk, wo unter der Saddam-Diktatur zehntausende Kurden deportiert wurden, ist auch ein Kampf um die Köpfe und Herzen der Kurden zwischen den beiden führenden Politikern Kurdistans – Massud Barsani von der Demokratischen Partei (KDP) und Dschalal Talabani von der Patriotischen Union (PUK). Nachdem Barsani in forschem Ton die Angliederung Kirkuks an Kurdistan verlangt, wollte Talabani nicht nachstehen und hat die Klärung des Konflikts zur Bedingung für die Übernahme des Präsidentenamts gemacht.

Sollte keine Regierung zustande kommen, bleibt Ajad Allawi im Amt. Im Dezember stünden dann Neuwahlen an. Unter der Hand bereiten sich jetzt schon die meisten Fraktionen darauf vor und schmieden kräftig an neuen Koalitionen. So hatten sich die Iraker bei ihrer Stimmabgabe am 30. Januar die Demokratie freilich kaum vorgestellt.