Anschlag auf Tessiner Synagoge

Zwei Brände in einer Nacht zerstören Großteil der Synagoge von Lugano und Textilgeschäft einer jüdischen Familie. Noch keine Hinweise auf mögliche Täter

LUGANO taz ■ Augenzeugen für den Anschlag auf die einzige Synagoge des Tessins gibt es nicht, Ohrenzeugen hingegen schon. „Ich habe einen Knall gehört, dann das Bersten von Glas. Ich dachte zuerst an einen Autounfall. Doch wenige Minuten später hörte ich Leute nach der Feuerwehr rufen“, erzählt ein älterer Herr, der in der Nähe der Synagoge von Lugano wohnt. Der Täter war nach 23 Uhr offenbar in einen Unterstand auf der Gebäuderückseite eingedrungen und hatte ein Fenster im Erdgeschoss eingeworfen. Rasch breiteten sich die Flammen aus und verwüsteten einen Unterrichtsraum. Deckenteile sind herabgestürzt, die Wandbibliothek ist verkohlt, die Möbel unbrauchbar. Im angrenzenden Gebetsraum liegt überall Ruß. Die Wanduhr steht seit 23.49 Uhr still.

Rund eine Stunde nach dem Anschlag auf die Synagoge brach einige hundert Meter entfernt im von einer jüdischen Familie geführten Bekleidungs- und Textilgeschäft „Al buon mercato“ ein Feuer aus. Es richtete ebenfalls beträchtlichen Schaden an. Die Feuerwehr rückte innerhalb der gleichen Stunde noch zu einem dritten Brand aus, der eine Wohnungstüre im zweiten Stockwerk eines Mehrfamilienhauses erfasst hatte. Wer dort wohnt, war vorerst nicht bekannt. Die Brände seien fast sicher vorsätzlich gelegt worden, teilte die Tessiner Kantonspolizei mit. Mehrere der Gebäude seien gewaltsam aufgebrochen worden.

„In der Schweiz gab es meines Wissens noch nie einen Brandanschlag auf eine Synagoge“, sagt Thomas Lyssy, der Sprecher des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG). Entsprechend groß ist der Schock. Bisher war es vor allem zu antisemitischen Schmierereien gekommen. Auch im Tessin war die Synagoge in den Neunzigerjahren derart verunstaltet worden. Seither seien zudem zwei- oder dreimal Fenster eingeschlagen worden, erzählt ein in der Synagoge anwesendes Mitglied der jüdischen Gemeinschaft, das seinen Namen nicht genannt haben möchte. Doch einen Anschlag habe jetzt niemand erwartet. Es habe auch keine Drohungen gegeben. Der Mann hat keine Zweifel: „Das ist kein Nachtbubenstreich, sondern ein antisemitischer Akt.“ SIG-Sprecher Lyssy hingegen will über die Hintergründe des Anschlags nicht spekulieren. „Noch wissen wir nicht, wer ihn verübt hat.“ Er wartet jetzt auf das Ergebnis der Untersuchung, die die Tessiner Kantonspolizei eröffnet hat.

CHRISTINA LEUTWYLER