Am Ende liebten sie alle

Gestern verabschiedeten sich die Berliner und Berlinerinnen von Brigitte Mira in und vor der Gedächtniskirche. Sie zeigten echtes Mitgefühl für die Tote – und die noch lebenden Promis

VON WALTRAUD SCHWAB

Am Ende wurde Brigitte Mira von allen geliebt. Von den Politikern, den Theaterleuten und Fernsehstars, von den Bühnen-Freaks und den Berliner Pflanzen, von Alkoholikern mit rot geäderten Wangen, Frauen mit rot gefärbten Haaren, Homosexuellen mit rote Schleifen. „Unsere Biggi“ meinen sie.

Sie stehen vor der Gedächtniskirche und bestaunen die Weggefährten der Mira, die zur Trauerfeier kommen. „Da der René Kollo im schwarzen Mantel.“ „Der ist ja auch nicht mehr der Jüngste.“ Und da: „Haste gesehen, der Atze Brauner. Hält sich wacker.“ Bei den nächsten Taxen, die vorfahren, geht ein „Judy Winter“, ein „Susanne Juhnke“, ein „Edith Hanke“ durch die Menge.

Das Schöne bei Trauerfeiern für Westberliner Größen ist das Promigucken. Das war schon beim Ableben von Hildegard Knef, Horst Buchholz, Günter Pfitzmann und Wolfgang Gruner so. „Sterben alle weg“, sagt eine der Besucherinnen hinter der Absperrung. „Aber die Mira, die wollte 100 werden. Die war so ’ne ehrliche Haut.“

Auch die Presse freut sich über die Gelegenheit, Promis zu fotografieren und ihnen melancholische Fragen zu stellen. Während Klaus Wowereit, Noch-Bürgermeister, von Fotografen eingekeilt ist, zieht Diepgen, Nicht-mehr-Bürgermeister, unbehelligt an der Meute vorbei. „Was verbindet Sie mit Brigitte Mira?“, ruft ihm eine Frau mit Mikrofon hinterher. Er dreht sich um: „Eine lebenslange Freundschaft“. Mira konnte eben mit allen.

Schnauze mit Herz – wer alte Berliner und Berlinerinnen erleben will, muss zu Trauerfeiern an der Gedächtniskirche kommen. Neben Neugier zeigen die Leute echtes Mitgefühl. Nachdem die Kirchentür hinter den Prominenten geschlossen wurde, starren sie eine Stunde lang andächtig auf den leeren Gang vor der Kirche, über den eine Stunde später der Sarg von Mira getragen werden wird, und lauschen der Übertragung der Gedenkstunde.

„Eine kleine Frau mit einem ganz großen Herzen“, dringt die Stimme von Regina Ziegler, Filmproduzentin und Freundin der Verstorbenen, von drinnen über die Lautsprecher nach draußen. Im Zeitraffer wird das Große der Kleinen noch einmal aufgezählt: Die Nazizeit mit falschem Pass überlebt. Den jüdischen Vater gerettet. Tingeltangel, Operette, Soubrette. Unter Rainer-Werner Fassbinder endlich als Schauspielerin ernst genommen. „Drei Damen vom Grill“. „Drei alte Schachteln“. Tierschützerin. Aidsaktivistin. Große Liebende. „Ich gönn ihr die Ruhe, die sie jetzt hat“, sagt eine Frau in Pelzjäckchen und Strickmütze, „meine Mutter ist ja auch so alt geworden.“ Eine andere mit einäugigem Chihuahua unterm Arm zeigt die Autogrammkarte, die ihr Mira 1994 unterschrieben hat. „An der Ampel Ecke Kirchstraße/Teltower Damm lehnte sie. ‚Frau Mira, ist Ihnen nicht gut‘, hab’ ich sie gefragt.“ Ein Alter mit Zahnlücke gesteht ohne Zögern: „Als ich von ihrem Tod erfuhr, da hab ich ’ne Träne geweint. Ich hab’ doch bei ‚Drei Damen vom Grill‘ mal ’nen Wurstwagen durchs Bild geschoben.“