Ein Zeichen des Himmels

Der deutsche Fußballtrainer Jürgen Gede, einst Profi bei Schalke 04 und Fortuna Köln, hofft darauf, sich mit der Nationalmannschaft Usbekistans für die Weltmeisterschaft 2006 zu qualifizieren

AUS TASCHKENT PETER BÖHM

Wenn deutsche Maßarbeit und asiatische Verspieltheit aufeinander treffen, kann man sich vorstellen, dass die Funken fliegen. „Das Schlimmste ist hier die Nicht-Organisiertheit“, sagt Jürgen Gede, seit vergangenem Jahr Trainer der usbekischen Fußballnationalmannschaft. „Ich gebe Ihnen nur ein Beispiel!“, sagt er und erzählt kopfschüttelnd, wie er im vergangenen Jahr mit seiner Mannschaft zu einem WM-Qualifikationsspiel in die katarische Hauptstadt Doha geflogen ist. „Erst sind wir auf dem Flughafen gelandet, aber es war kein Bus da, um uns abzuholen. Er war zum anderen Flughafen der Stadt bestellt. Und dann waren für vier Spieler im Hotel keine Zimmer gebucht. Da denkst du dir natürlich: Mann, seid ihr denn völlig bekloppt! Und ihr wollt zur Weltmeisterschaft!“

Aber genau das ist die Aufgabe des 48-jährigen Gede: die usbekische Fußball-Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft 2006 zu führen. Gelungen ist so etwas bisher noch keinem zentralasiatischen Team, doch die Chancen für Usbekistan stehen nicht schlecht. Gedes Elf ist eines von acht asiatischen Teams in zwei Gruppen. Die Gruppenersten und -zweiten werden jeweils nach Deutschland fahren. Auch die Gruppendritten haben noch eine kleine Chance. Aber ein Sieg beim Auswärtsspiel in Kuwait am 25. März, sagt Gede, ist dennoch Pflicht. Im ersten Gruppenspiel gegen Saudi-Arabien hat seine Mannschaft in Taschkent 1:1 gespielt. Es warten aber noch so schwere Gegner wie Südkorea und Saudi-Arabien auswärts.

Gede ist aus „dem Pott“, wie er selbst sagt. Er ist in Gelsenkirchen geboren. Sein Vater hat dort schon Fußball gespielt. Er selbst bekam seinen ersten Profivertrag bei Schalke 04 mit 16 Jahren. Mit Klaus Fischer, Erwin Kremers und Norbert Nigbur hat er dort in der Bundesliga gespielt, ist aber mit 22 in die 2. Bundesliga zu Fortuna Köln gewechselt, wo er elf Jahre spielte. „Ich war ungeduldig. Ich wollte öfter spielen“, sagt er heute über die Gründe für seinen Wechsel. Bei Fortuna beendete er auch seine Profikarriere als Spieler und fing dort gleich als Trainer an.

1993 ging er zum ersten Mal ins Ausland, im Iran trainierte er eine Vereinsmannschaft. „Das werde ich nie vergessen, wie ich zwei Tage vor Heiligabend nach Teheran geflogen bin. Ich bin aber ganz ehrlich. In Deutschland hatte ich kein Angebot.“ Daraus ergab sich wiederum die nächste Aufgabe und sein bisher größter sportlicher Erfolg als Trainer. 1994 gewann er mit der iranischen Nationalmannschaft das Fußballturnier der Asienspiele.

Danach trainierte er wieder eine iranische Vereinsmannschaft, dann in Deutschland in der Oberliga und der Regionalliga, bevor er im Sommer 2003 über einen usbekischen Geschäftsmann das Angebot bekam, die usbekische U 20-Nationalmannschaft zu betreuen. Ein Jahr später übernahm er dann das Seniorenteam. Seitdem hat er die usbekischen Legionäre in Russland wieder motiviert, die nur noch selten für ihr Heimatland spielten. Inzwischen kann er auf acht Spieler aus der russischen Liga zurückgreifen und einen von Dynamo Kiew. Mit diesem Team hat Gede eine beeindruckende Serie hingelegt. „Seit ich Trainer bin, haben wir nicht ein einziges Mal verloren. Letztes Jahr in China im Viertelfinale der Asienmeisterschaft sind wir gegen Bahrain nur im Elfmeterschießen ausgeschieden. Das zähle ich nicht!“ Unter seiner Regie ist die Nationalelf in der Weltrangliste von Rang 80 in die 40er Ränge aufgestiegen. „Dass wir einen Trainer aus Deutschland bekommen haben“, sagt der usbekische Sportjournalist Massud Siakhanow, „ist für viele Usbeken wie ein Zeichen des Himmels.“

Doch Jürgen Gede macht sich nichts vor. Er weiß, dass der Weg zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 nicht mit Rosen ausgelegt sein wird. Vor allem weil, wie er sagt, „in Asien keiner selbstständig arbeiten kann. Das ist hier ein Problem. Ich sage jemandem: Mach das. Aber hier hat jeder seinen Lakaien. Und am Ende macht es keiner.“ Deshalb organisiere er inzwischen so gut wie alles selbst. Und schon ist er wieder bei der nächsten Anekdote vom Auswärtsspiel in Doha, als wieder jemand seine Pläne durchkreuzte. Gede lässt zu jedem Spiel der usbekischen Nationalmannschaft zwei deutsche Ärzte einfliegen. Die haben den Ernährungsplan der Spieler völlig umgestellt, viele Kohlehydrate verordnet und wenig Fett. „Bei unserem Hotelbüfett in Doha stand alles, nur genau das nicht, was wir haben wollten.“ Da ist wieder das bekannte Kopfschütteln. „Dann ist der Dr. Erich in die Küche gegangen und hat die Nudeln selbst gekocht.“

Der usbekische Fußballverband stellt Gede eine Suite im Hotel Usbekistan zur Verfügung, einem Plattenbaukasten am zentralen Platz von Taschkent mit Blick auf die Statue Tamerlans. Das Hotel gehört zwei reichen usbekischen Brüdern. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Staatspräsident die zwei Geschäftsleute genötigt hat, die Spitze des Fußballverbandes zu übernehmen und Geld dafür zur Verfügung zu stellen. Im Café der Hotellobby kann man Gede jeden Nachmittag einen Pulverkaffee trinken sehen. Ein paar Tische weiter sitzen ein Schotte und ein Engländer. Sie trainieren den usbekischen Nachwuchs. Mit ihren Händen zeichnen sie Diagramme ihrer nächsten Aufstellung auf den Tisch oder vielleicht den Siegtreffer von West Ham United gegen Fulham im Pokalfinale 1975. „Das sind komische Leute“, sagt Gede. „Die reden den ganzen Tag nur über Fußball.“

Vor Gede auf dem Tisch liegt die jüngste Ausgabe von Reviersport mit den neuesten Hiobsbotschaften von Borussia Dortmund. Die hat er sich selbst von einer Reise nach Deutschland mitgebracht. Manchmal bringt ihm die Zeitschriften auch seine Frau. Er würde lieber als Trainer in Deutschland arbeiten. Daraus macht er keinen Hehl. Aber er sagt auch: „Nationaltrainer in Usbekistan ist ein gutes Sprungbrett für mich. Nur weiß ich natürlich auch: Wenn ich die nächsten zwei Spiele verliere, bin ich weg vom Fenster.“